Interview mit Guido Westerwelle "Es darf keinen Flächenbrand geben"

BONN · Der Außenminister gab sich entspannt und aufgeräumt. Vor dem meist jungen Gästen des Global Media Forums (GMF) im ehemaligen Plenarsaal kokettierte Guido Westerwelle ein wenig mit seinem Alter, schwärmte von den "good vibrations" in der Bundesstadt überhaupt und empfahl dem Publikum, auch das Bonner Nachtleben zu genießen - das, so der weitgereiste FDP-Politiker mit einem Augenzwinkern, könne auch mit New York mithalten, fast jedenfalls.

 Will eine politische Lösung für Syrien: Bundesaußenminister Guido Westerwelle.

Will eine politische Lösung für Syrien: Bundesaußenminister Guido Westerwelle.

Foto: AP

Herr Westerwelle, Sie haben hier auf dem Global Media Forum gesagt, die globale Welt werde unübersichtlicher, man brauche mehr Differenzierung, es gebe aber mehr Simplifizierung. Verstehen Sie den Wunsch vieler Menschen nach klaren, einfachen Antworten?
Westerwelle: Ich kann das verstehen, aber es ist oftmals nicht möglich.

Betrübt Sie manchmal, dass die diplomatischen Mühlen so langsam mahlen?
Westerwelle: Es gibt Probleme, die sind so kompliziert, dass man ihnen mit einfachen Antworten nicht gerecht werden kann. Differenzieren ist eine Stärke, keine Schwäche.

Ihre andere Anmerkung hier und heute war, dass Deutschland schneller werden müsse, wenn es besser bleiben wolle. Wie meinen Sie das?
Westerwelle: Deutschland darf sich auf seinen Erfolgen nicht ausruhen. Es macht mir Sorge zu sehen, wie schwierig es geworden ist, bei uns große Infrastrukturprojekte zu verwirklichen, seien es Bahnhöfe oder Flughäfen. Wir brauchen mehr konstruktive Mehrheiten für etwas, nicht gegen etwas. Die neuen Kraftzentren von Asien bis Lateinamerika zeigen eine atemberaubende Dynamik.

Ein Problem, das nicht einfach zu lösen ist, ist die Lage in Syrien. Zwei Jahre brutalste Gewalt, Tausende von Toten. Hat der Westen hier versagt?
Westerwelle: Syrien ist gegenwärtig das schwierigste außenpolitische Dossier. Es werden immer mehr Züge eines Stellvertreterkrieges sichtbar. Deshalb ist es richtig, auf eine politische Lösung hinzuarbeiten, so wie das gestern auch auf dem G8-Gipfel in Nordirland gemacht wurde und selbst dann, wenn der Erfolg einer Syrienkonferenz derzeit überhaupt nicht gesichert ist. Denn: Es unversucht zu lassen, wäre ein unverzeihlicher Fehler.

Stellvertreterkrieg? Wer für wen?
Westerwelle: Hisbollah auf der Seite Assads, Al-Kaida gegen Assad. Ich möchte, dass aus Syrien kein Flächenbrand in der gesamten Region wird. An der Grenze zur Türkei gab es schon Tote. Die Lage im Irak ist dramatisch. Jordanien leidet unter den vielen Flüchtlingen. Auf der anderen Seite sehen wir regelmäßig Grenzverletzungen zum Libanon, einem Land, das noch nicht wirklich stabil und ausgesöhnt ist. Und ich denke an unseren Partner Israel und die Auseinandersetzungen auf dem Golan. Hinzu kommt das iranische Atomprogramm. Das alles zeigt: Wir sind hier in einer überaus komplizierten und sehr ernsten Lage. Nicht nur, was die Region angeht, sondern die Welt.

Sie haben hier von legitimen Interessen beim Waffenverkauf gesprochen. Haben die Gegner Assads kein legitimes Interesse daran, Waffen zu erhalten?
Westerwelle: Deutschland wird keine Waffen nach Syrien liefern. Eine Aufrüstungsspirale ist einer politischen Lösung sicher nicht zuträglich. Wir respektieren, wer sich anders entscheidet. Aber dann muss geklärt werden, wie verhindert werden kann, dass solche modernsten Waffen in die Hände von Terroristen und Dschihadisten geraten. Denn auch wenn Extremisten gegen Assad kämpfen, werden sie deshalb nicht zu unseren Verbündeten.

Wladimir Putin liefert Waffen an Assad. Was sagen Sie ihm?
Westerwelle: Die angekündigte Lieferung von S-300-Raketen wäre ein schwerer Fehler. Die Lieferung solcher Systeme, so scheint mir, ist noch nicht angelaufen. Übrigens liefert derzeit auch kein EU-Land, auch die nicht, die sich das vorbehalten haben.

US-Präsident Obama ist Gast in Berlin. Werden Sie mit ihm auch über die "roten Linien" am Beispiel Syrien sprechen?
Westerwelle: Wir werden mit Präsident Obama die gesamte Palette der bilateralen und globalen Fragen besprechen. Dazu zählt selbstverständlich auch Syrien. Ich begrüße, dass beim G8-Gipfel bei aller Uneinigkeit zwischen den USA und Russland immerhin Einigkeit über die Notwendigkeit einer politischen Lösung und für eine zweite Syrienkonferenz erzielt werden konnte.

Wagen Sie eine Prognose, wann sie stattfindet?
Westerwelle: Ursprünglich war Juni geplant. Das wird nicht mehr gelingen. Aber selbst wenn die Konferenz mit Verzögerung stattfindet, ist es besser, als wenn sie nicht stattfände. Die im letzten Jahr vereinbarte Genfer Erklärung sieht auf dem Weg zu einer politischen Lösung eine Übergangsregierung mit vollen exekutiven Vollmachten unter Beteiligung der Opposition vor. Darauf sollten wir weiter mit Nachdruck hinarbeiten.

Es gibt positive, aber auch negative Signale im Verhältnis zu den USA. Etwa das Internetspähprogramm. Steht das auf der Berliner Agenda?
Westerwelle: Natürlich werden wir das besprechen. Es geht um die richtige Balance zwischen notwendigen Sicherheitsinteressen und dem Schutz unserer Privatsphäre.

Sind Sie enttäuscht, dass ein Bürgerrechtler wie Obama derartiges zulässt?
Westerwelle: Ich finde, wir sollten den Besuch von Präsident Obama nicht nur auf die schwierigen Themen verengen. Der Besuch ist ein bedeutendes Ereignis für die transatlantische Partnerschaft. Viele glaubten doch, die USA hätten Europa schon aufgegeben. Die Ernennung des ausgewiesenen Europakenners John Kerry zum Außenminister widerlegt dieses Klischee. Vergessen wir nicht: Mit niemandem außerhalb Europas ist Deutschland enger verbunden als mit den USA. Diese Partnerschaft ist so eng, dass wir auch kontroverse Themen besprechen können. Wir wollen Fortschritte bei der Abrüstungspolitik. Da sind wir voll auf einer Linie. Wir wollen einen großen transatlantischen Freihandelsraum. Das schafft Arbeitsplätze auf beiden Seiten, ohne dass dafür neue Schulden gemacht werden müssten.

Müssen Sie sich im Fall der Türkei korrigieren. Sie sprachen noch kürzlich von einer atemberaubenden Entwicklung...
Westerwelle: Nein. Die wirtschaftliche Entwicklung in den letzten zehn Jahren bleibt atemberaubend. Das kann niemand bestreiten. Und die Proteste in Istanbul und Ankara sind auch Ausweis einer aktiven, modernen Zivilgesellschaft. Aber die Tatsache, dass die türkische Regierung nicht mit Deeskalation und Dialog auf die Proteste reagiert hat, sondern mit einer Eskalation in Worten und Taten, müssen wir auch kritisieren. Das sendet das falsche Signal, ins eigene Land und nach Europa.

In Ägypten werden Mitarbeiter deutscher Stiftungen verurteilt. Wie groß ist ihre Enttäuschung hier?
Westerwelle: Das Urteil hat uns überrascht. Es darf aber nicht automatisch der Regierung zugerechnet werden. Wir werden die Stiftungen und die betroffenen Mitarbeiter darin unterstützen, dass dieses Urteil in der nächsten Instanz aufgehoben wird.

Es geht doch um mehr als um diesen Prozess...
Westerwelle: Ich rate auch hier zur Differenzierung. Wir sollten uns nicht abwenden von Ägypten, sondern dem Land weiter zuwenden, auch um die richtigen Kräfte zu stärken. Wir wissen doch: Revolutionen verlaufen selten ohne Rückschläge.

Was erhoffen Sie sich vom neuen iranischen Präsidenten?
Westerwelle: Der gewählte Präsident Rohani hat Reformen angekündigt. Wir wollen ihn beim Wort nehmen. Nach innen wie nach außen. Was die Freiheitsrechte der eigenen Bürger angeht, ebenso wie bei den Verhandlungen über das iranische Nuklearprogramm. Wir werden genau beobachten, ob den Worten auch Taten folgen. Ich glaube, heute sieht man, dass es richtig war, dass wir in der Sache bestimmt waren, aber auch immer dialogbereit geblieben sind. Ich hoffe, dass er dem Wunsch vieler Bürger nach Reformen nachkommen kann.

Stichwort Afghanistan. Präsident Karsai hat am Dienstag die Sicherheitsverantwortung für sein Land komplett übernommen. Riesenfortschritt oder Augenwischerei?
Westerwelle: Das zeigt, dass wir in unserem Plan sind, was die Übergabe der Sicherheitsverantwortung und den Abzug unserer Kampftruppen bis Ende 2014 angeht. Aber ich mache mir da nichts vor. Ich fürchte, es wird auch noch schlechte Nachrichten und Rückschläge geben.

Zur Person

Guido Westerwelle, 1961 in Bad Honnef geboren, führte bei der Bundestagswahl 2009 die FDP als Parteivorsitzender mit 14,6 Prozent zum besten Ergebnis ihrer Nachkriegsgeschichte. Der Jurist aus Bonn wurde Außenminister und Vizekanzler der schwarz-gelben Koalition. 2011 musste er nach einer Serie von FDP-Niederlagen bei Landtagswahlen den Parteivorsitz räumen.

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