Retten, nicht aufnehmen EU-Innenminister wollen Asyl-Regelungen unangetastet lassen
BRÜSSEL · Die Hoffnung, die Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa könne zu einem Wendepunkt der europäischen Asylpolitik werden, hat sich nicht erfüllt. Das umstrittene Schlüsseldokument Dublin II "bleibt unverändert, selbstverständlich", betonte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Dienstag bei einem Treffen mit seinen Amtskolleginnen und -kollegen in Luxemburg.
Und auch Brüssels Innenkommissarin Cecilia Malmström musste einsehen: "Ich glaube nicht, dass heute der Tag dafür ist." Am Ende hatte sie sich mit einem minimalen Ergebnis zufrieden zu geben: Die EU-Grenzschutzagentur Frontex wird für einen Großeinsatz im Mittelmeer von Zypern bis Spanien zuständig sein, "um mehr Leben zu retten." Es sollen nicht mehr Flüchtlinge aufgenommen, sondern nur mehr aus dem Wasser geholt werden, wenn ihre Schiffe das ersehnte Paradies Europa nicht erreichen.
"Deutschland ist das Land, das die meisten Flüchtlinge aufnimmt", stellte Friedrich fest, der dem Präsidenten des Europäischen Parlamentes, Martin Schulz (SPD), "mangelnde Sachkenntnis" vorwarf. Schulz hatte es als "Schande" bezeichnet, dass die Union nicht mehr Asylsuchende akzeptiert und die Lasten gerechter verteilt.
Die geringe Bereitschaft der Mitgliedstaaten, den erst drei Monate alten Asylkompromiss noch einmal aufzuschnüren, hat Gründe, die wenig mit den Vorgängen vor der italienischen Mittelmeer-Küste zu tun haben. Am 1. Januar 2014 endet die bisherige Sperrfrist für Zuwanderer aus den beiden EU-Mitgliedsländern Rumänien und Bulgarien.
Nicht nur Deutschland fürchtet dann eine Einwanderungswelle, die nicht mehr gestoppt werden darf - samt entsprechenden Folgen für die Sozialkassen. "Es kann nicht sein, dass Freizügigkeit so missbraucht wird, dass man ein Land nur deswegen wechselt, weil man höhere Sozialhilfe haben möchte", schimpfte der Bundesinnenminister und forderte die EU-Kommission auf, klarzustellen, "ob wir diejenigen, die zur Leistungserschleichung nach Deutschland kommen, zurückschicken und ihnen eine Wiedereinreisesperre auferlegen können". Brüssel dürfe nicht länger "um den heißen Brei" herumreden.
Die Antwort der EU-Kommission: Sie will mehr Geld aus dem Sozialfonds bereitstellen, um die soziale Integration zu unterstützen. Außerdem werde man Zweckehen bekämpfen und die Verwaltungen unterstützen, Wohnsitze von Einwanderern leichter zu ermitteln.
In dieser Atmosphäre zusätzlicher Belastungen, die Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Schweden und Belgien befürchten, war kein Platz für eine größere Offenheit zugunsten afrikanischer Asylbewerber. Lediglich Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner von der konservativen ÖVP zeigte sich bereit, über eine "gerechtere Aufteilung der Lasten" zu reden. Doch an die Dublin-II-Verordnung, die die Aufnahme durch den ersten EU-Staat, den ein Flüchtling betritt, regelt, will niemand wirklich ran.
Nach dem Flüchtlingsdrama vor Lampedusa ist der Kapitän des gesunkenen Bootes festgenommen worden. Gegen den 35-jährigen Tunesier wird nach Meldungen der Nachrichtenagenturen unter anderem wegen mehrfachen vorsätzlichen Totschlags und Havarie ermittelt. Taucher brachten gestern bis zum späten Abend insgesamt 43 weitere Leichen an Land. Die Zahl der Opfer stieg damit auf 274. Es werden weitere vermutet.