Distanz zu Merkel EU-Kommission will Etatplanung ganz nach Brüssel ziehen

BRÜSSEL/STRASSBURG · Berlin gerät ins Hintertreffen. Je näher der EU-Gipfel Ende Juni rückt, umso offener werden die Differenzen zwischen Berlin, Brüssel und anderen Regierungschefs.

Dass Kommissionspräsident José Manuel Barroso dem deutschen Bundesfinanzminister am Mittwoch fast schon unverblümt offen widersprach und eine Finanztransaktionssteuer noch bis Ende des Jahres als machbar bezeichnete, ist dabei nur ein Indiz für die wachsende Kluft. Noch deutlicher wurde Barroso am Mittwoch im Europäischen Parlament: "Dies ist ein entscheidender Augenblick", sagte er vor den Abgeordneten der 27 Mitgliedstaaten.

"Ich bin mir nicht sicher, ob die Dringlichkeit dieser Frage in allen Hauptstädten so wahrgenommen wird." Der Seitenhieb sollte den Bremser Deutschland geißeln. Zuvor hatte der Chef der europäischen Verwaltung deutlich gemacht, was er im Kreis der Staats- und Regierungschefs durchsetzen will: Nach dem Fiskalpakt soll es nun eine Fiskal- und eine Bankenunion geben.

Elementare Elemente der staatlichen Haushaltsplanung würden in die Hände der EU gelegt. Neue Schulden dürfte ein Mitgliedstaat dann nur noch machen, wenn er das Okay aus Brüssel dafür bekommt. Die Überwachung der nationalen Etats soll noch mehr ausgedehnt werden, so dass die Kommission fast schon ein Weisungsrecht innehaben würde.

Das Europäische Parlament will diesen Fahrplan zu einer "politischen Union". Es segnete am Mittwoch die so genannte verstärkte Haushaltskontrolle ab. Schon ab diesem Jahr müssen die Mitgliedstaaten ihre Budgets jeweils im Oktober vorlegen und genehmigen lassen. Nach einer Prüfung wird die Kommission dann Korrekturen verlangen können - beispielsweise wenn die solide Finanzierung nicht gesichert, die Schulden zu hoch oder die Maßnahmen für mehr Wettbewerbsfähigkeit zu gering ausfallen.

"Mit diesen Instrumenten können wir die Wurzeln den Schuldenübels bekämpfen", kommentierte der Vorsitzender der CDU-Abgeordneten im Plenum, Herbert Reul, den Beschluss. Dass die Abgeordneten sich parallel dazu für Euro-Bonds und einen Schuldentilgungsfonds aussprachen, stieß dagegen bei vielen auf Widerstand. Der CSU-Abgeordnete Markus Ferber: "Solche Instrumente belohnen diejenigen, die sich bisher nicht an die Regeln gehalten haben."

Der Sozialdemokrat Udo Bullmann lobte, dass die "Kommission nunmehr verpflichtet wurde, über zehn Jahre hinweg ein Prozent des europäischen Bruttoinlandsproduktes zur Bekämpfung der Krise einzusetzen."

Die meisten Maßnahmen stoßen in Berlin auf Ablehnung. Zwar strebt auch die Bundeskanzlerin "mehr Europa" an, wie sie betonte. Aber sie will die Grenze zu einer Transferunion nicht überschreiten, sondern bei der bisherigen Linie bleiben. Schuldensünder sollen ihre Finanzen in Ordnung bringen.

Dann - und wirklich erst dann - könne man über gemeinsame Staatsanleihen oder gar eine Fiskalunion reden. Angela Merkel steht damit nicht alleine. Finnland und Schweden, aber auch Österreich und Polen unterstützen sie. Gegenüber steht diesen Ländern eine Allianz aus Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland, Irland und Portugal, die sich von "mehr Europa" vor allem eines versprechen: Erleichterung der Schuldenlast bei mindestens gleichbleibender Hilfe. Dass diese Position sich durchsetzt, glaubt aber in Brüssel niemand so recht.

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