Schulsystem in Frankreich Experten: Schwächere werden ausgeschlossen

PARIS · Wunsch und Wirklichkeit gehen in Frankreich noch auseinander, was die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention angeht. Ratifiziert wurde diese Anfang 2010.

Zwar gibt es staatliche Akteure, um die Inklusion von Kindern mit Behinderung in Regelschulen zu fördern, wie ein übergeordnetes nationales Ausbildungs- und Forschungsinstitut für den Unterricht junger Menschen mit Behinderung (INS HEA) und ein Nationalbüro, das Familien und spezialisiertes Personal berät und mit rund 55 100 Bildungseinrichtungen zusammenarbeitet.

Doch Experten und Vereinigungen von Familien mit behinderten Kindern beklagen das aktuelle Angebot als unzureichend. In einem Aufsatz zum Thema kritisiert die Erziehungswissenschaftlerin Christine Philip, dass das französische Schulsystem Ungleichheiten generell nicht ausgleiche, sondern verstärke, was auch die jüngste Pisa-Studie bemängelt hat.

Wenn bereits sozial Schwächere benachteiligt würden, dann solche mit Behinderung erst recht: "Wo kann in diesem elitären System, das die Besten bevorzugt, der Platz derjenigen sein, die aus anderen als sozialen Gründen aus dem Rahmen fallen?", fragt sie.

In einem Senatsbericht aus dem Sommer 2012 wurde die Zahl der Kinder mit Behinderung, die Regelschulen besuchen, auf 200 000 geschätzt, aber viele nur zeitlich begrenzt, mit ungenügend ausgebildetem Personal und improvisierter Ausstattung.

Bis zu 20 000 Kinder, darunter vor allem besonders schwer beeinträchtigte, warteten darüber hinaus auf einen Schulplatz. "Obwohl heute viel von Inklusion die Rede ist, ist sie weit davon entfernt, mehrheitlich in die Lehr-Praxis eingegangen zu sein", schließt Philip.

Im französischen System überwiege Integration, bei der die betroffenen Kinder sich anpassen müssten, gegenüber Inklusion, wo auf individuelle Bedürfnisse eingegangen werde.

Auch der Erziehungswissenschaftler Charles Gardou stellt in seinem Buch "Reden wir über die inklusive Gesellschaft" den radikalen Ausschluss von Menschen mit Behinderung in Frankreich fest: "Man entfernt sie, wie um eine Ansteckung zu vermeiden." Denn ihre Andersartigkeit und ihre unterstellte Unproduktivität verdrängten sie noch zu oft in die Isolation.

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