FDP geht bei Mindestlohn auf Union zu

Berlin · Und sie bewegt sich doch - aber nur ein bisschen: Auch die FDP hat nun das Wahlkampf-Potenzial von Mindestlöhnen entdeckt. Sie zeigt sich offen für weitere Branchenlösungen und kommt der Union entgegen.

 Mitarbeiter einer Tochterfirma der Charité-Kliniken demonstrieren in Berlin für bessere Arbeitsbedingungen. Foto: Rainer Jensen

Mitarbeiter einer Tochterfirma der Charité-Kliniken demonstrieren in Berlin für bessere Arbeitsbedingungen. Foto: Rainer Jensen

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Sieben Monate vor der Bundestagswahl sehen immer mehr Liberale Handlungsbedarf im Kampf gegen Dumpinglöhne. Parteichef Philipp Rösler sprach sich für faire Löhne aus, "die unserem Grundgedanken der Leistungsgerechtigkeit entsprechen". FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle hielt eine Einigung mit der Union für möglich. "Ich kann mir das schon vorstellen."

Einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn lehnten Rösler und Brüderle strikt ab. Auch die Union will das nicht. Wirtschaftsminister Rösler sagte der "Süddeutschen Zeitung" (Mittwoch), "branchenspezifische Lösungen, etwa auf der Grundlage des bestehenden Instrumentariums" seien aber denkbar. Er könne sich "auch ein Mindesteinkommen nach dem Bürgergeldmodell vorstellen, so wie es im Koalitionsvertrag steht".

Außenminister und Ex-Parteichef Guido Westerwelle betonte: "Die FDP ist die Partei der Leistungsgerechtigkeit. Aber drei Euro Stundenlohn hat mit Leistungsgerechtigkeit nichts mehr zu tun." Aus Bayern, wo im September ebenfalls gewählt wird, kamen andere Töne. Vize-Ministerpräsident Martin Zeil warnte seine Partei vor Experimenten: "Jede Form von Lohnuntergrenzen kostet Arbeitsplätze!"

Die FDP hatte bereits in der laufenden Wahlperiode der Einführung von Branchen-Mindestlöhnen zugestimmt, wenn sich Arbeitgeber und Gewerkschaften einig waren.

SPD und Grüne kritisierten eine "Mogelpackung" der Koalition und kündigten einen neuen Anlauf für einen gesetzlichen Mindestlohn im Bundesrat an. Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wollen am 1. März eine Gesetzesinitiative für einen Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro pro Stunde einbringen. Im Dezember 2011 war die Opposition in der Länderkammer mit einem Entschließungsantrag gescheitert. Seit der Niedersachsen-Wahl gibt es dort aber eine rot-grüne Mehrheit.

FDP-Fraktionsvize Martin Lindner stellte der Union Bedingungen. Branchen- und regional differenzierten Lohnuntergrenzen seien nur denkbar, "wenn es keine aktuellen Tarifverträge dort gibt", sagte er dem Onlineportal bild.de. Im Gegenzug müsse es "eine deutliche Entlastung der Einkommensmittelschicht" geben, etwa durch die Streichung des "Soli"-Zuschlags für Jahreseinkommen bis 100 000 Euro. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will davon nichts wissen. Der Soli spült ihm jährlich 13 bis 14 Milliarden Euro in die Kasse.

Der niedersächsische FDP-Landeschef Stefan Birkner sagte der "Welt": "Wir dürfen uns nicht in die arbeitnehmerfeindliche Ecke drängen lassen." Der schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Heiner Garg setzte sich wie die Union für eine Lohnfindungskommission gegen Dumpinglöhne ein.

Das von der Union angestrebte Modell sieht einen Mindestlohn nur für Beschäftigte ohne Tarifvertrag vor. Differenzierungen nach Branchen, Regionen und Arbeitnehmergruppen sollen möglich sein. Festgelegt werden soll das von einer paritätisch besetzten Kommission von Arbeitgebern und Gewerkschaften.

Die SPD-Vizevorsitzende Manuela Schwesig kritisierte: "Dass nun die FDP sich ihre Zustimmung zu dieser Mogelpackung mit der Abschaffung des Soli abkaufen lassen will, zeigt knallhart, dass die FDP sich um den Osten Deutschlands einen feuchten Kehricht schert." Mit regionalen Lohnuntergrenzen würden "Lohnunterschiede zwischen Ost und West dauerhaft zementiert". DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki warf der Koalition Etikettenschwindel vor.

Unter Schwarz-Gelb traten folgende sieben Branchen-Mindestlöhne in Kraft: Abfallwirtschaft, Bergbauspezialarbeiten, Großwäschereien, Sicherheitsdienste, Aus- und Weiterbildung, Pflege und Zeitarbeit.

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