Kommentar FDP-Parteitag in Karlsruhe - Realitätsverdrängung

Karlsruhe · Mehr war von der FDP nicht zu erwarten: Wenige Wochen vor den für die Liberalen existenziellen Wahlgänge musste die Spitze um beinahe jeden Preis darauf achten, dass es zu keinerlei innerparteilichen Selbstzerfleischung unter Medienbeobachtung kommen kann.

Man streute der Öffentlichkeit Sand in die Augen. Und zwar sowohl über die innerparteilichen Zustände wie die Machtstellung des Parteivorsitzenden. Die FDP-Spitze redete sich die Gegenwart schön und rechnete sich kurzerhand für die Zukunft auf über fünf Prozent hoch. Das ist Teil eines parteiinternen Beruhigungsprogramms. Tatsächlich hat sich aber - Grundsatzprogramm hin oder her - an der Ausgangslage für die kleinere Regierungspartei in Berlin wenig zum Positiven verändert.

Das beginnt mit der Erkenntnis, dass - unabhängig von den anstehenden Wahlen - die Partei und ihr Vorsitzender irgendwie nicht zusammenpassen. Rösler hat beinahe flehentlich die Unverzichtbarkeit der Liberalen beschworen. Inhaltlich hat er wiederum nicht geliefert. Kein Wort zur inhaltlichen Ausgestaltung des FDP-Wiederaufbauprogramms. Auch in der Debatte um das Grundsatzprogramm gab nur wenig Anhaltspunkte, wie sich die FDP auf der Berliner Bühne strategisch ausrichten will.

Rösler darf man aber nicht unterschätzen. Seine zentrale Leistung im ersten Vorsitzenden-Jahr besteht gewiss darin, die FDP von dem eindimensionalen Ruf einer alleinigen Steuersenkungspartei befreit zu haben. Dies gelang gesichtswahrend, wenn auch unter großen innerparteilichen Schmerzen. Aber was macht Rösler jetzt? Mit seiner Karlsruher Rede unternahm er zum wiederholten Mal den reichlich missglückten Versuch, den Wachstumsbegriff als liberalen Wahlkampfschlager der FDP-Basis näherzubringen. Damit betreibt er eine ähnliche thematische Verengung wie Westerwelle seinerzeit in Sachen Steuersenkung. Und ob das Schuldenthema für einen Wahlkampf reicht, werden wir am 13. Mai wissen.

Personell wird sich bei den Liberalen dagegen vorerst nichts ändern. Christian Linder hat für sich eine klare politische Prioritätensetzung nach dem Wahlgang, die unabhängig vom NRW-Wahlkampf gilt: Erst Düsseldorf, aber dann Berlin. Der Ex-Generalsekretär hatte in Karlsruhe offen Kritik an der Arbeit der Parteispitze geübt. Rösler machte gute Miene zum vergleichsweise bösen Spiel.

Der Vize-Kanzler hat innerparteilich eine überschaubare Unterstützerschar. Wenn der Bundesvorsitzende in Kiel und in Düsseldorf scheitert, hat Rösler in Berlin abgewirtschaftet. Das heißt nicht zwangsweise, dass der NRW-Spitzenkandidat Lindner Interesse an einem neuerlichen Wechsel hat. Mit Rainer Brüderle, der die Rösler- Rede als "sehr grundsätzlich" beiseite gewischt hat und sich Sonntag mit einer pointierten Rede seine ohnehin große innerparteiliche Sympathiewerte in schwindelerregende Dimensionen noch erhöht hat, steht ein Nachfolger "Gewehr bei Fuß".

Personelle Änderungen bringen der Partei nicht zwangsweise die alte Stärke zurück. Mediziner Rösler hat seiner Partei Balsam für die wunde Seele verschrieben. 18 Monate vor den Bundestagswahlen muss er aber eine Antwort auf die Frage finden, wie die FDP ihren Wert steigern will. Gerade die Piratenpartei wäre eine längere und differenzierte Auseinandersetzung Wert. Aber die hat keinen Platz in der liberalen Realitätsverdrängung.

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