Kommentar zu den Olympischen Spielen Finger in die Wunden

Meinung | Rio de Janeiro · Wie sind die Olympischen Spiele 2016 zu bewerten? Die besten der Geschichte waren es sicher nicht.

 Horrorszenarien sind nicht eingetroffen. Der Terror machte glücklicherweise einen Bogen um Südamerika und es gab auch keine Zika-Epidemie.

Horrorszenarien sind nicht eingetroffen. Der Terror machte glücklicherweise einen Bogen um Südamerika und es gab auch keine Zika-Epidemie.

Foto: dpa

Dafür aber konnte Rio de Janeiro nur sehr wenig. Gigantismus, Doping und Korruption – diese drei Problemkreise schnüren der guten Idee seit Jahren die Luft ab. Eine erkennbare Trendwende bei den ersten Spielen in Südamerika war nicht zu erwarten. Deshalb darf es auch nicht den Gastgebern angelastet werden.

Die Brasilianer gaben den Spielen ein freundliches Gesicht. Trotz gelegentlich zu lauter Buhrufe war die Atmosphäre in Rio weit vom Chauvinismus entfernt, der beispielsweise 2004 in Athen herrschte – obwohl die Wiege Olympias in Griechenland steht. Auch die Kritik an angeblich fehlender olympischer Begeisterung der Einheimischen ist unberechtigt. Sie war sehr wohl an einigen Wettkampfstätten spürbar – in erster Linie bei den Mannschaftssportarten, nicht zuletzt bei Brasiliens Volkssportarten Fußball und (Beach-)Volleyball, aber auch an der Ruder- und Kanustrecke.

Horrorszenarien sind nicht eingetroffen. Der Terror machte glücklicherweise einen Bogen um Südamerika, es gab keine Zika-Epidemie. Die Zahl der Überfälle war nicht höher als üblich in Rio. Auch das totale Transportchaos blieb aus. Die Rahmenbedingungen dafür haben die Brasilianer unter den Vorzeichen ihrer Wirtschaftskrise und der Probleme mit einer hohen Kriminalitätsrate gut hinbekommen. Wenn auch zu einem hohen Preis, der auch auf Kosten der Steuerzahler geht: 90 000 Sicherheitskräfte waren im Einsatz. Neben der gegenüber London 2012 noch augenscheinlicheren Präsenz von Polizei und Militär war die riesige Diskrepanz zwischen Arm und Reich nie auszublenden. Es ist gut, dass die Spiele, wie Thomas Bach es formulierte, „in der Mitte der Realität“ stattgefunden haben. Damit hat der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) recht. Denn die Welt soll sehen, was in der Welt los ist.

Olympia war aber auch Schaufenster in einer Hinsicht, die der Herr der Ringe nicht wahrhaben möchte. Die Olympische Bewegung ist im Jahr 2016 nicht „stark“, wie er am Tag vor der Abschlussfeier sagte. Allein ihr Grundgedanke ist es, die Idee eines friedlichen Treffens der Jugend aus aller Welt zur Förderung von Verständigung und Toleranz.

In Zeiten globaler Krisen klingt dies moderner und richtungsweisender denn je. Alleine an der Umsetzung hapert es, solange zynische Geschäftemacher diese verantworten. Die olympische Familie hat sich in ihrer Welt abgekapselt, sie lebte auch in Rio in ihrem Kokon abseits der Realität. Während sie in Luxushotels wohnte, konnten sich die Menschen aus den Favelas keine der für sie unerschwinglichen Tickets leisten. Diese zu subventionieren, hätte beispielsweise schon der Verzicht auf den Bau einer Bahnrad-Halle und anderer Sportstätten ermöglicht, die in Zukunft brachliegen. Thema Nachhaltigkeit.

Rio hat den Finger in viele Wunden gelegt. Wenn Thomas Bach und seine Altherrenriege die Spiele renovieren wollen, müssen sie die drei Kernprobleme angehen: Erstens den Kampf gegen das Monster Doping, zumal das Murren aus Athletenkreisen wegen des Rumeierns in der Russland-Frage beständig lauter wird. Zweitens die Reduzierung des Programms. 306 Entscheidungen sind zu viel. Und drittens, das Allerschwierigste: das Aufräumen in den eigenen Reihen.

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