Freihandelsgespräche zwischen USA und EU starten trotz Spähvorwürfen

Washington/Berlin · Es ist ein historischer Kraftakt: USA und die EU wollen zur weltgrößten Freihandelszone zusammenrücken.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel reagiert auf aktuelle Diskussionen: Sie betont vor den Verhandlungen in Washington den Datenschutz. Foto: Michael Kappeler/Archiv

Bundeskanzlerin Angela Merkel reagiert auf aktuelle Diskussionen: Sie betont vor den Verhandlungen in Washington den Datenschutz. Foto: Michael Kappeler/Archiv

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Überschattet von Spähvorwürfen gegen den US-Geheimdienst haben in Washington die Gespräche über eine Freihandelszone zwischen der USA und der EU begonnen. Der US-Handelsbeauftragte Michael Froman sprach zum Auftakt am Montag von "einem wichtigen Tag in den transatlantischen Beziehungen". Es handele sich um eine große Chance, langfristig Wachstum und Jobs zu fördern. Es dürfte keine Verzögerungen bei den Gesprächen geben, forderte Froman.

Sollten die Verhandlungen zum Erfolg führen, würde die weltweit größte Freihandelszone mit gut 800 Millionen Einwohnern geschaffen. Experten hoffen auf bis zu zwei Millionen neuer Arbeitsplätze. Allerdings dürften die Gespräche Jahre dauern, Experten rechnen frühestens ende 2014 mit einer Einigung.

Parallel zu den Handelsfragen begann eine Arbeitsgruppe über die Spähvorwürfe zu diskutieren, wie die EU-Vertretung in Washington mitteilte. Dies hatten zuvor EU-Politiker gefordert. Weitere Einzelheiten wurden nicht mitgeteilt. Es hieß, zunächst gehe es bei den Gesprächen auf Beamtenebene um Verfahrensfragen und weitere Termine. Die Delegation wollen erstmals am Mittwoch vor die Presse treten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hob in Berlin die wirtschaftliche Bedeutung der Freihandelszone hervor, verlangte aber erneut Aufklärung der Amerikaner "zu Fragen des Datenschutzes". Die Opposition forderte die Bundesregierung auf, über die Zusammenarbeit zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Geheimdienst Klarheit zu schaffen. Angesichts der Spionageaffäre hatte es zuletzt europaweit Forderungen gegeben, die Handelsgespräche vorerst nicht zu beginnen.

"Dass heute die Verhandlungen dazu in Washington beginnen, parallel im Übrigen auch mit Diskussionen zu Fragen des Datenschutzes - diese Frage hat in Deutschland auch eine sehr, sehr hohe Bedeutung - das ist ein gutes Zeichen", sagte Merkel bei einem Firmenbesuch in Berlin. "Das Abkommen liegt im Interesse Europas und im besonderen Sinne Deutschlands", sagte Bundeswirtschaftsminister und FDP-Chef Philipp Rösler der "Passauer Neuen Presse".

"Wir sind überzeugt, dass dieses Handelsabkommen zu mehr Jobs und mehr Wachstum führen wird - und uns aus der wirtschaftlichen Krise helfen kann", sagte der EU-Handelskommissar Karel De Gucht. "Wir werden hart arbeiten, um ein Ergebnis zu erreichen." Zwar gebe es auch Probleme und Stolpersteine - doch am Ende könnte eine historische Vereinbarung stehen, meinte De Gucht in Genf.

Die geplante Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) soll durch den Abbau von Handelshemmnissen Wachstum in der EU und den USA ankurbeln und nach Meinung von Experten bis zu zwei Millionen zusätzlicher Jobs schaffen. Beide Seiten hatten das Vorhaben erst vor drei Wochen beim G8-Gipfel in Nordirland offiziell angekündigt. Zwar gibt es bereits heute eher geringe Zölle zwischen den USA und der EU, doch unterschiedliche technische Normen, Sicherheitsstandards oder Wettbewerbsvorschriften erschweren den Handel. Zudem stehen die beiden Handelsblöcke USA und EU in Konkurrenz mit aufstrebenden Ländern wie China, Indien und Brasilien.

Allerdings dürften die Verhandlungen zäh und langwierig sein: Es wird erwartet, dass die echten Knackpunkte frühestens im Herbst zur Sprache kommen. Als schwierig gilt unter anderem, dass sich Frankreich mit der Forderung durchsetzte, Film, Musik und andere Medien aus den Gesprächen zunächst auszuschließen. Mit Blick auf die Ausspähvorwürfe sagte Regierungssprecher Steffen Seibert: "Wir sind jetzt im Prozess der Sachaufklärung." Er dämpfte aber zugleich die Erwartungen an schnelle Ergebnisse: "Wir werden vielleicht mehrere Gespräche dafür brauchen."

Der US-Geheimdienst NSA soll EU-Vertretungen ausgespäht und in großem Stil auch in Deutschland Kommunikation per E-Mail und Telefon überwacht haben. Wochen nach ersten Enthüllungen, die auf den Ex-NSA-Mitarbeiter Edward Snowden zurückgehen, wartet die Bundesregierung auf Antworten aus Washington. In den nächsten Tagen sind Spitzenbeamte von Regierung und Nachrichtendiensten sowie Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) zu Gesprächen in der US-Hauptstadt. Der "Spiegel" hatte am Wochenende berichtet, dass die Zusammenarbeit zwischen NSA und dem BND intensiver sei als bislang bekannt.

FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger trat für nachhaltige Aufklärung ein. "Mit den Enthüllungen eines einzelnen Whistleblowers ist die Gefahr verbunden, das Vertrauen in die unbefangene digitale Kommunikation und in die parlamentarische und gerichtliche Kontrolle und damit in unseren Rechtsstaat zu untergraben - wenn sie unbeantwortet bleiben", schrieb sie in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Dienstag).

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sieht vor allem die Kanzlerin in der Pflicht. "Angesichts neuer Medienberichte stellt sich noch drängender als bislang die Frage, was die deutschen Nachrichtendienste, vor allem aber was das Bundeskanzleramt von den Abhöraktivitäten gewusst hat." Sollte sich herausstellen, dass deutsche Nachrichtendienste durch ihre Zusammenarbeit mit ausländischen Diensten deutsches Recht umgangen hätten, sei er gespannt, wie Merkel diesen Verfassungsbruch rechtfertigen wolle.

Linke-Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn sieht ebenfalls immer mehr Ungereimtheiten bei dem Zusammenwirken der Geheimdienste. "Diese Zweifel muss Frau Merkel, muss Herr Friedrich endgültig ausräumen. Und zwar jetzt!"

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