Präsident des Verfassungsschutzes Fromm stürzt über Aktenaffäre

BERLIN · Die Vernichtung von Akten im Zusammenhang mit der Neonazi-Mordserie hat personelle Folgen: Der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, wird zum Monatsende vorzeitig in den Ruhestand treten.

 Abgang: Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, geht.

Abgang: Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, geht.

Foto: ap

Er kann. Wenn er will. Übermorgen zum Beispiel wäre so ein Tag. Dann wird Heinz Fromm, wenn sie nicht noch die Tagesordnung über den Haufen werfen, auf dem Zeugenstuhl in jenem Untersuchungsausschuss des Bundestages Platz nehmen, die die dunklen Umtriebe und Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds, kurz: NSU, erhellen soll. Es geht dabei um jene Neonazi-Terrorzelle, die über Jahre mit Morden an türkischen und griechischen Imbissbudenbetreibern und Einzelhändlern sowie einer Polizistin eine Blutspur durch das Bundesgebiet gezogen hat.

Fromm ist bei seinem angesetzten Zeugenauftritt noch 26 Tage im Amt, bevor er vorzeitig und, wie es offiziell heißt, selbst den Bundesinnenminister um seine Entlassung gebeten hat. Fromm ist jetzt 63 Jahre alt. Er war zwölf Jahre Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Er wird am 31. Juli dieses Jahres vorzeitig in den Ruhestand gehen. Er hatte sich seinen Gang in jenen Lebensabschnitt, den hohe und höchste Beamten wegen der kommenden Bedeutungslosigkeit besonders fürchten, anders vorgestellt.

Doch das Leben schreibt eigene Geschichten, solche, die auch der ranghöchste Verfassungsschützer nicht kennen muss. Oder vielleicht doch. Doch Fromm könnte diese Geschichte am Donnerstag im NSU-Untersuchungsausschuss selbst erzählen. Es geht um nichts weniger als den ungeheuerlichen Verdacht, sein Bundesamt für Verfassungsschutz habe wie womöglich auch das Landesamt für Verfassungsschutz in Thüringen ein Eigenleben geführt, als es, um Ende der 90er Jahre in die Neonazi-Szene einzudringen, V-Leute führte, die ihnen wiederum womöglich aus dem Ruder gelaufen seien.

Vielleicht ist es aber auch genau anders herum: Die Zuträger auf der Honorarliste des Verfassungsschutzes lieferten nur Magerkost, keine Informationen von Gehalt, wie Fromm in einem Zwischenbericht behauptet. Dieses und vieles mehr könnte der Noch-Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz im NSU-Untersuchungsausschuss aufklären.

Dass es zu diesem für Fromm nicht wirklich erfreulichen Schritt eines vorzeitigen, weil erzwungenen Rücktritts gekommen ist, hängt auch mit der Entscheidung eines leitenden Beamten seines Hauses zusammen, gegen den nun in einem eigenen Disziplinarverfahren ermittelt wird. Der Mann hatte das Schreddern jener Dossiers von V-Leuten veranlasst, die der Verfassungsschutz über Jahre angeheuert hatte, um Zugang zu Kreisen vor allem der Neonaziszene um den "Thüringer Heimatschutz" zu erhalten, zu denen Ende der 90er Jahre auch die Mitglieder des späteren Terrortrios Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe gehörten.

Brisant ist vor allem der Zeitpunkt, an dem Fromms eigenwilliger Beamter das Schreddern beziehungsweise Löschen der Akten und Dateien angeordnet hat. Am 11. November 2011, just nach dem Auffliegen der Zwickauer Terrorzelle um Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe.

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast spricht vom "größten Skandal" in der Geschichte deutscher Sicherheitsbehörden. Sie ist empört: "Ein Behördenleiter, der nicht sofort einen Aktenvernichtungsstopp ausspricht, hat offensichtlich nicht verstanden, was die Stunde geschlagen hat." Wer schon "einen solchen Skandal" im eigenen Hause habe, der müsse gerade die Vernichtung von Akten stoppen und alles sichern, "was zur internen Aufklärung, aber auch zur parlamentarischen Aufklärung nötig ist". SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier nannte Fromms Schritt politisch anständig. Der Verfassungsschutzpräsident übernehme damit Verantwortung für ein fehlerhaftes Verhalten von Mitarbeitern.

Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) lässt zunächst mitteilen, über die Nachfolge Fromms werde "in einem ordentlichen Verfahren" entschieden. Im Übrigen habe er den Schritt Fromms "mit Respekt zur Kenntnis genommen". Am späten Nachmittag dann tritt Friedrich selbst in Berlin vor die Presse, um seine Sicht der Dinge zu erläutern. Der Bundesinnenminister erklärt, er habe am Sonntagnachmittag von Fromms Gesuch erfahren, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen.

Ausdrücklich betont er: "Das ist kein Rücktritt." Fromm nutze lediglich das Recht des vorzeitigen Ruhestandes, das jedem Beamten mit vollendetem 63. Lebensjahr zustehe. Fromm sei in den zurückliegenden Monaten darüber "bedrückt" gewesen, dass auch das von ihm geführte Bundesamt die Mordserie durch die Zwickauer Terrorzelle nicht habe verhindern oder aufklären können. Auch das Löschen beziehungsweise Schreddern von Akten im eigenen Haus habe ihn "erschüttert", so Friedrich über Fromm.

Der scheidende Verfassungsschutzpräsident habe ihm zugesichert, weiter an der Aufklärung der Pannen mitzuwirken. Bereits heute wolle der Verfassungsschutz einen weiteren Bericht vorlegen. Friedrich lobt Fromm für seine "gute Arbeit" und betont einen seiner größten Erfolge: die Festnahme der sogenannten "Sauerland"-Gruppe 2007, die Anschläge gegen US-Militäreinrichtungen in Deutschland geplant hatte. Friedrich jedenfalls will den Verfassungsschutz nach eigenen Worten auf den Prüfstand stellen. Er werde dafür sorgen, dass Arbeit und Aufgaben der Behörden "kritisch" überprüft würden, verspricht der CSU-Politiker.

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