Kommentar zum 1.Mai Fruchtbarer Boden

Meinung · "Zeit für mehr Solidarität – Viel erreicht und noch viel vor!“: Besonders der zweite Teil des diesjährigen 1.-Mai-Mottos erfasst die Situation treffend. Die große Koalition hat viele gewerkschaftliche Forderungen aufgegriffen – von der Einführung des Mindestlohns über das Tarifeinheitsgesetz bis zur Rente mit 63 Jahren.

 Rote Trillerpfeifen mit Gewerkschafts-Logo liegen für einen Warnstreik bereit.

Rote Trillerpfeifen mit Gewerkschafts-Logo liegen für einen Warnstreik bereit.

Foto: dpa

Der erste Mai ist für die Gewerkschaften das wichtigste Datum im Jahreskalender: Ihre Spitzenvertreter schwärmen in der ganzen Republik aus, um die politischen Botschaften der Arbeitnehmerorganisationen unters Volk zubringen. Außerdem einem Großkampftag für die Eigen-PR sind die traditionellen Mai-Kundgebungen auch Teil der Selbstvergewisserung. Die Gewerkschaften zeigen Freund und Feind die Muskeln, indem sie Hunderttausende Mitglieder mobilisieren. Die Botschaft an Mit- und Gegenspieler: Schaut her, wir sind in Politik und Wirtschaft eine Kraft, mit der gerechnet werden muss. Insofern ist die alljährlich wiederkehrende Fragen obsolet, ob diese in Form und Aussage manchmal verstaubt anmutende Arbeiterfolklore in Zeiten von Klick-Arbeit und Industrie 4.0 noch zeitgemäß sind. Natürlich ist sie, so lange sie für die Veranstalter ihren Zweck erfüllen.

„Zeit für mehr Solidarität – Viel erreicht und noch viel vor!“: Besonders der zweite Teil des diesjährigen 1.-Mai-Mottos erfasst die Situation treffend. Die große Koalition hat viele gewerkschaftliche Forderungen aufgegriffen – von der Einführung des Mindestlohns über das Tarifeinheitsgesetz bis zur Rente mit 63 Jahren. Allerdings: Diese große Koalition ist für IG Metall, DGB und Co. in Bezug auf umfassende Gesetzesvorhaben zwar eine erfolgreiche Geschichte, aber eben Geschichte. Im kommenden Jahr wird ein neuer Bundestag gewählt. Die Gewerkschaften müssen in den nächsten Monaten politische Schwerpunkte formulieren, die sie den Parteien als Forderungen vorlegen werden. Einer dieser Schwerpunkte ist schon heute erkennbar: Die Rente, die traditionell eines der gewerkschaftlichen Brot-und-Butter-Themen ist.

Schon heute ist erkennbar, dass die Zukunft der Alterssicherung in den Wahlprogrammen aller Parteien eine zentrale Rolle spielen wird. Dementsprechend laufen sich die Spitzengewerkschafter rhetorisch warm. Das geplante Absinken der Rente wollen sie stoppen oder sogar umkehren, bisher freigestellte Berufsgruppen zur Finanzierung heranziehen, Kapitalerträge zur Rentenfinanzierung heranziehen. Die Chancen, dass zumindest ein Teil der Ideen auf fruchtbaren Boden fällt, ist gut wie lange nicht. Die guten Steuereinnahmen öffnen Verteilungsspielräume, die auch die wahlkämpfenden Politiker gerne nutzen werden.

Allerdings werden sich die Arbeitnehmerorganisationen in den nächsten Monaten auch mit einem für sie weit unangenehmeren Thema auseinandersetzen müssen. Mit Stellungnahmen zu den Wahlerfolgen der AfD sind die Gewerkschafter bislang ungewohnt zurückhaltend. Der Grund: Auch in den eigenen Reihen befinden sich AfD-Sympathisanten. Wie viele, weiß keiner. Aber die DGB-Gewerkschaften, die immer noch mit Mitgliederschwund kämpfen, wollen sie durch allzu deutliche Positionen bisher offenbar nicht vergrätzen. Mehr Klarheit und damit mehr Wahrheit würde ihnen gut zu Gesicht stehen.

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