Kommentar Gaucks Antrittsrede - Der Mutmacher

BERLIN · Chapeau, Herr Bundespräsident: Äußerst würdevoll im Auftreten und versehen mit einer klaren Botschaft für die Zukunft trat Joachim Gauck am Freitag vor die Öffentlichkeit. Jede Form von Verzagtheit ist dem 72-Jährigen schon auf Grund seiner Biografie fremd.

Sein demokratisches Selbstbewusstsein ausstrahlenden Worte zur Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus werden lange nachhallen. Gauck signalisierte SPD, Grünen und Linkspartei, dass er das soziale Auseinanderdriften in der Gesellschaft thematisieren will.

Der Bundespräsident lobt das europapolitische Engagement der Bundesregierung. Damit signalisiert er, dass der elfte Präsident ein Repräsentant des breiten politischen Spektrums sein will. Kein Zweifel: Der Einstieg in diese Präsidentschaft ist ihm ausgezeichnet gelungen.

Dazu trägt aber auch bei, dass Gauck mit dem öffentlichen Erwartungsdruck seine Probleme hat. In Deutschland gibt es eine Sichtweise, die den Bundespräsidenten als eine Art letzte politische Instanz zur Lösung von Problemen versteht. Gauck sieht sich damit in eine unbehagliche Heilsbringer-Rolle gedrängt, die für das Verhältnis zwischen Staatsoberhaupt und Politik-Betrieb nicht neu ist: Wie weit kann sich der Präsident in die Tagespolitik ohne das Risiko einmischen, unnötige Dramatik zu erzeugen?

Gauck weiß genau, dass die Bundesrepublik zwar Defizite hat. Politik müsse offener und ehrlicher werden; die Bürger müssten aus der passiven Konsumentenhaltung herausfinden. Aber der neue Präsident wird sich auch im Klaren darüber sein, dass - bei aller Kritik - die gesellschaftlichen und politischen Grundmuster in Deutschland funktionieren: Die Bundesregierung werkelt vor sich hin, aber schlägt sich so durch. Aus der internationalen Finanzkrise kommt Deutschland halbwegs unbeschadet heraus.

[kein Linktext vorhanden]Das demokratische Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition funktioniert in den letzten Jahren besser denn je. Die Politik braucht präsidentielle Wegweiser, keine besserwisserischen Sanierer: Berlin ist nicht Athen.

Gauck sieht sich in der Rolle des Mutmachers. Er versucht, seine persönlichen Schlüsselbegriffe Freiheit und Verantwortung in die politische Arbeit einfließen zu lassen. Der neue Bundespräsident nahm klug den wichtigsten der Akzente seines Vorgängers Christian Wulff auf und bekannte sich zu dem Prinzip der offenen und ausländerfreundlichen Gesellschaft.

Mit Recht gab es viel Lob für die Rede Gaucks. Er ist der wohl politischste Bundespräsident seit Richard von Weizsäcker. Aber der Präsident wird seine Rolle noch finden müssen. Er wird vor allen Dingen seine politischen Beziehungen zur Kanzlerin und CDU-Vorsitzenden Angela Merkel zu definieren haben, die ihn ja ursprünglich nicht in diesem Amt sehen wollte.

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