Volkspartei-Kongress der CDU Rhein-Sieg Geißler: Wir haben keine soziale Marktwirtschaft mehr

SIEGBURG · Er ist mittlerweile 82, aber so jung und frech wie eh und je. Man könnte also auch sagen: Er ist der Alte. Heiner Geißler, CDU-Generalsekretär von 1977 bis 1989, ließ es sich am Samstag auf einem "Volkspartei-Kongress" der CDU Rhein-Sieg im Siegburger Stadtmuseum nicht nehmen, mit dem Kapitalismus scharf abzurechnen.

 Diskussion in Siegburg: (von rechts) Rundschau-Herausgeber Helmut Heinen, Heiner Geißler, Weihbischof Heiner Koch und die Moderatoren Manfred Schenkelberg und Gerd Hammer.

Diskussion in Siegburg: (von rechts) Rundschau-Herausgeber Helmut Heinen, Heiner Geißler, Weihbischof Heiner Koch und die Moderatoren Manfred Schenkelberg und Gerd Hammer.

Foto: Holger Arndt

Draußen gab es spätsommerliches Markttreiben, drinnen eine dreistündige Debatte über die Marktwirtschaft. Geißlers Kernthesen: "Die Welt ist in Unordnung geraten, weil Politik und Ökonomie ihre ethischen Fundamente preisgegeben haben." Und: "Wir haben keine soziale Marktwirtschaft mehr, sondern den Kapitalismus." Und schließlich: "Wir brauchen eine internationale öko-soziale Marktwirtschaft."

Der Mensch sei im herrschenden System nur noch Kostenfaktor, diese Ökonomisierung der Gesellschaft sei "die Todsünde". Scharf kritisierte der gläubige Christ Geißler, der sich vor fünf Jahren der globalisierungskritischen Organisation Attac angeschlossen hat, den Weg in eine Drei-Klassen-Medizin, die absolut unzureichende Pflegeversicherung, die fortdauernde Diskriminierung von Frauen weltweit.

Das Ganze eingebettet in ein wortgewaltiges Plädoyer für die Achtung der Menschenwürde und für die Nächstenliebe. Geißler machte seine Kritik an Katastrophen der vergangenen Jahre fest: an der Explosion der BP-Ölplattform in der Karibik, die nach amerikanischem Recht gar nicht hätte betrieben werden dürfen; am großen Bergwerksunglück in Chile, in einem Bergwerk, das bereits stillgelegt hätte sein müssen und an der Nuklearexplosion in Fukushima, weil die dortige Anlage nicht ausreichend gesichert worden sei. Ursache aus Geißlerscher Sicht in allen drei Fällen: Sparen auf Kosten der Menschen.

Für Geißler ist es ein Unding, dass es immer noch keine Umsatzsteuerpflicht auf Finanztransaktionen gibt. Mit dem dadurch eingenommenen Geld ließen sich spielend die Millenniumsziele zum Klimaschutz verwirklichen. Und Geißler riet seiner Partei, sich wieder auf ihr christliches Menschenbild zu besinnen.

Die CDU "ist keine konservative Partei", und deshalb sei es beispielsweise richtig, dass sie das traditionelle Frauenbild abgelegt habe, dass sie eine Lebensrealität anerkenne, in der Mann und Frau arbeiten müssten, um die Familie zu ernähren. Geißlers Schlusspassage: "Es mangelt nicht an Geld auf dieser Welt. Das muss die CDU endlich mal klarmachen. Es gibt auf der Erde Geld wie Heu, Geld wie Dreck. Es haben nur die falschen Leute."

In der anschließenden Podiumsdiskussion machte der Präsident des Bundesverbandes deutscher Zeitungsverleger (BDZV), Rundschau-Herausgeber Helmut Heinen, deutlich, dass die Medien durch ihr Eintreten für Freiheit, für Aufklärung und Transparenz und für Rechtsstaatlichkeit einen wesentlichen Beitrag zur Wertegebundenheit dieser Gesellschaft zu leisten imstande seien.

Zu dieser Wertedebatte gehöre auch der Hinweis auf den inneren und äußeren Frieden, der in der Bundesrepublik, anders als in anderen Teilen der Welt, gesichert sei.

Der Kölner Weihbischof Heiner Koch verwies darauf, dass nicht nur die Verwirklichung von Werten schwieriger geworden sei, sondern dass Werte auch ihren Inhalt veränderten. Koch führte dazu den veränderten Ehe-Begriff an, zum Teil durch das Bundesverfassungsgericht sanktioniert.

Es gelte, das "Feuer für Werte" durch eine eigene Praxis des Umgangs beispielsweise in Kindergärten oder Krankenhäusern zu erhalten. Das brachte noch einmal Geißler mit der markigen Bitte auf den Plan, die Kirche dürfe sich aus diesen sozialen Betätigungen nicht zurückziehen und sich nur nur etwa der Liturgie oder einer falsch verstandenen "Entweltlichung" widmen. Das Auditorium im vollbesetzten Stadtmuseum spendete nicht nur an dieser Stelle lebhaften Beifall.

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