Gewalt gegen Beamte Polizisten beim Jahreswechsel in mehreren Städten attackiert

Berlin. · Mit Böllern, Raketen und Flaschen wurden beim Jahreswechsel Polizisten in mehreren Städten massiv attackiert. Die Ursachen liegen in langfristigen Trends, in politischer Polarisierung und im Alkohol.

 Mit Böllern, Raketen und Flaschen wurden beim Jahreswechsel Polizisten in mehreren Städten - wie hier in Leipzig - massiv attackiert.

Mit Böllern, Raketen und Flaschen wurden beim Jahreswechsel Polizisten in mehreren Städten - wie hier in Leipzig - massiv attackiert.

Foto: dpa/Sebastian Willnow

Die Gedanken der Menschen beim Jahreswechsel haben gewöhnlich mit guten Wünschen und den Wörtern froh, glücklich und gesund zu tun. Doch wer in der ganz besonderen Nacht auf die Straße geht, kann sich nicht sicher sein, stattdessen verängstigt, fassungslos und verletzt wieder nach Hause zu kommen. Was ist los mit der deutschen Gesellschaft, dass die Silvesternacht in manchen Straßenzügen als Ausnahmezustand begriffen wird, in dem alle Hemmungen fallen?

In Leipzig ermittelt die Staatsanwaltschaft nach der Silvesternacht nach einem Angriff auf einen 38-jährigen Polizisten wegen versuchten Mordes. Nach derzeitigem Stand wurde ihm der Helm vom Kopf gerissen. Die unbekannten Täter wirkten so massiv auf Körper und Kopf ein, dass der Mann bewusstlos wurde und in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste. Unterdessen gab die Polizeidirektion Leipzig an, dass dieser entgegen vorheriger Berichte nicht notoperiert werden musste.

In Hamburg wurden Polizisten nach Schüssen von einem Balkon eines Mehrfamilienhauses gerufen. Während die Beamten nach dem Täter suchten, zertrümmerten Unbekannte eine Scheibe des Einsatzfahrzeuges, warfen Feuerwerkskörper hinein und fackelten es ab – mitsamt Maschinenpistole und Munition im Kofferraum. Auch in Berlin wurden Polizisten Opfer gezielter Gewalt. Ebenso in Bonn, wo Beamte mit Feuerwerk gezielt beschossen wurden.

Gewalt gegen Polizei: Polizisten beim Jahreswechsel in mehreren Städten attackiert
Foto: grafik

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) nannte es „beschämend“ für eine Gesellschaft, wenn sie nach solchen Gewaltvorfällen wieder zur Tagesordnung übergehe. Vor allem mit Blick auf Leipzig mahnte GdP-Vize Jörg Radek, Attacken auf Menschen in Polizeiuniform politisch nicht zu beschönigen. Er spielte damit auf die bereits in der Silvesternacht laufende Debatte über eine angebliche „Provokation“ der linken Szene durch Präsenz der Polizei an.

Die zunehmende Polarisierung im Land bildet in der Tat einen Nährboden für die Aggressivität. Im jüngsten Verfassungsschutzbericht wird die Zahl der gewaltbereiten Linksextremisten mit 9000, die der gewaltbereiten Rechtsextremisten mit 12 700 und die der islamistischen Salafisten mit 11 300 angegeben. Binnen weniger Jahre sind das jeweils Zunahmen im vierstelligen Bereich. Hinzu kommt die auf 19 000 Reichsbürger angewachsene Szene von überzeugten Feinden der Staatsgewalt.

Allerdings ist das Phänomen nicht neu. „Die Hemmschwelle bei Gewalt gegen Polizisten sinkt“, stellte das Düsseldorfer Landeskriminalamt als Ergebnis einer umfassenden Studie bereits 2011 fest. Und wegen der besorgniserregend steigenden Zahlen gingen auch Forscher um den Kriminologen Christian Pfeiffer zur selben Zeit der von Polizisten erlebten Gewalt nach.  Die Festnahme Verdächtiger, die Schlichtung bei Schlägereien und das Eingreifen bei Familienstreitigkeiten bildeten danach die meisten Anlässe für Verletzungen, durch die die Beamten tage- und wochenlang dienstunfähig waren.

Ein BKA-Lagebild zur Gewalt gegen die Polizei zeigt auf der Zeitachse ebenfalls keine eskalierende Entwicklung, sondern ein Auf und Ab von Widerstand, tätlichen Angriffen und Landfriedensbruch. Die Angriffe verteilen sich zu je 18 bis 30 Prozent auf Dörfer, Klein-, Mittel- und Großstädte. Bei den Krawallen, die als Landfriedensbruch verfolgt werden, ist die Verortung eindeutiger: Zwei Drittel dieser gewaltsamen Ausschreitungen werden in Städten von mehr als 500 000 Einwohnern verübt.

Regionale Besonderheiten ergeben sich, wenn die Anzahl der registrierten Widerstandshandlungen gegen Polizisten in ein Verhältnis zur Einwohnerzahl gebracht werden. Dann liegen die drei thüringischen Städte Erfurt, Suhl und Gera ganz oben, gefolgt von Frankfurt, und den drei NRW-Städten Wuppertal, Bonn und Düsseldorf. Unter den 20 Städten mit den häufigsten tätlichen Angriffen auf Polizisten je 100 000 Einwohner taucht aus NRW nur Dortmund auf Platz acht auf.

Die Auswertung der Tatverdächtigen bei Widerstandshandlungen zeigt einen auffälligen Trend: Jeweils mehr als die Hälfte standen über die Jahre hinweg unter Alkoholeinfluss. Damit ist ein wichtiger Hinweis für die Silvesternacht gegeben. Es gehört zur Tradition, den Jahreswechsel ausgiebig zu begießen.

Spätestens seit der Silvesternacht 2015 auf der Kölner Domplatte wird über den Anteil von Migranten an der Gewaltentwicklung diskutiert. Eine 2018 von Pfeiffer vorgelegte Studie fordert zur Differenzierung auf. Danach sind Kriegsflüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak eher bestrebt, ihre Chancen in Deutschland nicht durch Gewalt zu zerstören. Dagegen stellen Nordafrikaner ohne Bleibeperspektive unter den gewalttätigen Migranten einen deutlich größeren Anteil dar. Pfeiffer schlägt daher konsequente Abschiebung von Gewalttätern und mehr freiwillige Rückkehr vor.

Zugleich geht es um einen besseren Schutz für die Polizisten, um wirksamere Schutzkleidung, um den flächendeckenden Einsatz von Bodycams zur Beweissicherung und um eine massive Strafverschärfung: Wer Einsatzkräfte attackiert, riskiert seit 2017 bis zu fünf Jahre Haft. So ruft Innenstaatssekretär Stephan Mayer (CSU) dazu auf, der massiven und ungehemmten Brutalität, wie sie sich in der Silvesternacht gegen Polizisten und Feuerwehrleute gerichtet habe, auf das Schärfste zu verurteilen. „Diese verwerflichen Straftaten müssen konsequent von den Ermittlungsbehörden verfolgt und von der Justiz hart geahndet werden“, sagte Mayer unserer Redaktion. Darüber hinaus bedürfe es einer gesamtgesellschaftlichen Ächtung dieser Gewalt.

Positive Erfahrungen haben die Städte mit der zusätzlichen Ausweisung von Böllerverbotszonen gemacht. Allerdings läuft die Auswertung noch. Dass zur Durchsetzung allein in Berlin 500 Polizisten eingesetzt waren, lässt nach dem Verhältnis von Aufwand und Ertrag fragen. Zudem wachsen Zweifel, ob angesichts der Klimaschutzdebatte Tonnen von Feinstaub aus Böllern und Raketen wirklich noch zeitgemäß sind.

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