Glosse: Entschuldigung!

Eine nicht ganz ernst gemeinte Sprachbetrachtung zu den Aussagen des Bundespräsidenten Christian Wulff.

 Hat sich selbst entschuldigt, aber uns nicht um Entschuldigung gebeten: Bundespräsident Christian Wulff. Das Bild zeigt seine Hände beim Fernsehinterview am Mittwochabend.

Hat sich selbst entschuldigt, aber uns nicht um Entschuldigung gebeten: Bundespräsident Christian Wulff. Das Bild zeigt seine Hände beim Fernsehinterview am Mittwochabend.

Foto: dpa

Wer kennt die Situation nicht, dass ein gedankenverlorener Mitmensch die Tür nicht aufhält, sondern sie einem ins Gesicht plumpsen lässt? Wenn man Glück hat, dann wirft er noch ein läppisches "Sorry!" hinterher; wenn man sehr viel Glück hat, dann sagt er "Entschuldigung!" oder "Ich entschuldige mich". Geradezu formvollendet wird es, wenn er sagt: "Bitte entschuldigen Sie!", oder noch besser: "Ich bitte um Verzeihung!" Manch einer, der das nicht für unwichtige Höflichkeitsfloskeln hält, würde sich von schweren Eisentoren geradezu erschlagen lassen, nur um einen solchen selten geworden Satz hören zu dürfen: "Bitte entschuldigen Sie!"

Tatsächlich wird das Verb "entschuldigen" heutzutage meist reflexiv gebraucht und bedeutet laut Duden "um Nachsicht, Verständnis, Verzeihung bitten". Dem Wortsinn nach geht das aber eigentlich gar nicht: sich entschuldigen. Logischerweise müsste es der Geschädigte sein, der den Täter von der Schuld befreit. Sich selbst zu entschuldigen, erscheint freilich einfacher. Man muss nicht einmal mehr abwarten, ob die Entschuldigung überhaupt angenommen wird. Was aber ist eine solche "Entschuldigung" wert?

Nehmen wir die Causa Wulff. In seiner Erklärung vor Weihnachten sagte er, er hätte den Privatkredit im niedersächsischen Landtag offenlegen sollen, und fügte hinzu: "Das war nicht gradlinig und das tut mir leid." Viele Zeitungen, auch der General-Anzeiger, titelten am Folgetag: "Wulff entschuldigt sich". Dabei ist das Leidtun doch bestenfalls die kleine Schwester der Entschuldigung. Das wird schon dadurch deutlich, dass einem auch Dinge leid tun können, für die man keine Verantwortung trägt. Eine Entschuldigung war das also - noch - nicht.

Ganz anders das Fernsehinterview am Mittwochabend. Hier war zumindest die reflexive Form der Entschuldigung zu finden. Christian Wulff sagte wörtlich: "Der Anruf bei dem Chefredakteur der 'Bild'-Zeitung war ein schwerer Fehler, der mir leid tut, für den ich mich entschuldige." Formvollendet wäre es gewesen, Wulff hätte um Entschuldigung gebeten - das deutsche Volk, versteht sich, also uns, nicht den so aufs Neue geadelten Chefredakteur der "Bild".

Bemerkenswert war zudem, dass sich Wulff für den "schweren Fehler" zu entschuldigen gedachte, weniger für sich selbst. Das ist ja ein gängiger Sprachtrick: Der Fehler, dieses unkontrollierbare, fette Ding, bekommt ein Eigenleben, das mit der eigenen Person bei näherer Betrachtung gar nichts zu tun hat und von dem man sich nur distanzieren kann. Man kennt dieses Prinzip von der typischen Bahnhofsdurchsage, in der es heißt: "Wir bitten, die Verspätung zu entschuldigen." Als wenn die Verspätung das Problem wäre und nicht die unzuverlässige Bahn! Die bringt es ja bekanntlich auch fertig, am Zielbahnhof zu sagen: "Der Zug endet hier", obwohl nicht der Zug endet, sondern die Fahrt. Aber das ist nur ein Nebengleis.

"Ich bitte, die Verspätung meiner Entschuldigung zu entschuldigen", hätte der Bundespräsident auch sagen können. Hat er aber nicht. Dafür sollte er sich selbst bei nächster Gelegenheit verzeihen.

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