Interview mit Katrin Göring-Eckardt Grünen-Spitzenkandidatin über die Finanzkrise, Koalitionen und das Berlin/Bonn-Gesetz

BONN · Katrin Göring-Eckardt, Spitzenkandidatin der Grünen für die Bundestagswahl, setzt auf einen Regierungswechsel mit Rot-Grün, schließt aber eine Koalition mit der CDU nicht ausdrücklich aus. Mit ihr sprachen Bernd Eyermann, Alexander Marinos und Sandro Schmidt.

Gerechtigkeit und Zusammenhalt als Wahlkampfthemen: Katrin Göring-Eckardt.

Gerechtigkeit und Zusammenhalt als Wahlkampfthemen: Katrin Göring-Eckardt.

Foto: Barbara Frommann

Zypern strapaziert Europas Nerven. Ist Zypern noch zu helfen?
Katrin Göring-Eckardt: Zypern wird es auch nach der Krise noch geben. Ich hoffe, dass das Land dann auch noch den Euro hat. Bei den ersten Plänen hätte Finanzminister Schäuble wissen müssen, dass dieser Weg auch Menschen bei uns verunsichert. So etwas kann die Krisenstimmung in ganz Europa verschärfen. Das Rad wurde zu weit gedreht.

Zu weit wohin?
Göring-Eckardt: Die Bevölkerung und das Parlament in Zypern konnten nicht hinnehmen, dass die Kleinsparer derart belastet werden sollten.

Die Zyprer wollten offenbar die Oligarchen schonen. Ist in Europa gerade grundsätzlich etwas kaputtgegangen, was das Zutrauen in Spareinlagen angeht?
Göring-Eckardt: Ja, die Gefahr besteht.

Zur Innenpolitik: Sie wollen eine steuerfinanzierte Garantierente. Was verstehen Sie darunter?
Göring-Eckardt: Das Problem ist: Etwa 80 Prozent jener Menschen, die demnächst in Altersarmut rutschen, sind Frauen überwiegend in Westdeutschland. Das wollen wir verhindern. Diese Frauen haben gearbeitet, Kinder erzogen, Angehörige gepflegt. Geringe Rentenansprüche sollen so aufgestockt werden, dass eine Garantierente von etwa 850 Euro pro Monat erreicht wird. Die Konzepte von SPD und Union geben eher Antworten für männliche Normalarbeitnehmer. Aber die sind von Altersarmut deutlich weniger betroffen.

Das klingt sympathisch, aber wie wollen Sie es finanzieren?
Göring-Eckardt: Wir wollen, dass Altersarmut gar nicht erst entsteht. Und auch um kleinere Einkommen schon jetzt zu entlasten, brauchen wir zusätzliche Einnahmen durch einen höheren Spitzensteuersatz und das Abschmelzen des Ehegattensplittings.

Ab wann gilt denn bei Ihnen der höhere Spitzensteuersatz?
Göring-Eckardt: Wir sind da anders als die SPD. Die sagt: ab 100.000 Euro Jahreseinkommen für Ledige. Wir sagen: ab 80.000 Euro. Eben weil wir auch die kleineren Einkommen deutlich mehr entlasten und das solide gegenfinanzieren wollen. Und wir wollen eine Kindergrundsicherung in Höhe von 300 Euro pro Monat einführen. Alle Kinder sollen die gleiche Leistung erhalten. Damit gibt es dann einen Ausgleich für Familien.

[kein Linktext vorhanden]Sie planen auch eine Vermögensabgabe. Wer wäre davon betroffen?
Göring-Eckardt: Ein Prozent der Bevölkerung, mit einem Prozent ihres Vermögens über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren.

In Deutschland sind die Unterschiede zwischen Arm und Reich besonders groß. Würden Sie einräumen, dass das auch mit dem Absenken des Spitzensteuersatzes durch Rot-Grün zu tun hat?
Göring-Eckardt: Sie müssen bedenken: Wir hatten damals über fünf Millionen Arbeitslose. In der Gesellschaft und auch bei uns Grünen war damals die Meinung verbreitet, dass wir jede Maßnahme ergreifen müssten, die dazu führt, dass die Arbeitslosigkeit sinkt. Deshalb auch die Agenda 2010. Die war im Grundsatz richtig, hatte aber Konstruktionsfehler, die wir damals noch nicht so erkannt haben. Dass wir beispielsweise einen so riesigen Niedriglohnsektor bekommen, damit hatten wir nicht gerechnet.

Wäre denn mit einem gesetzlichen Mindestlohn alles geregelt?
Göring-Eckardt: Nicht alles, aber vieles. In Deutschland arbeiten sieben Millionen Menschen, die weniger als 8,50 Euro pro Stunde bekommen. Wenn ich die ganzen Reden höre, dass Bildung für Kinder so wichtig ist, und dann sehe, dass eine Erzieherin in Mecklenburg-Vorpommern nur 6,93 Euro bekommt, dann passt das nicht.

Zum Wahlkampf: Kämpfen Sie auch für Rot-Grün?
Göring-Eckardt: Wir kämpfen für starke Grüne. Und einen Regierungswechsel mit Rot-Grün. Die Übereinstimmungen mit der SPD sind sehr viel größer als mit allen anderen Parteien.

Aber Sie wollen Ihren Wählern keine Garantie geben, dass deren Stimme dann am Ende nicht eine für Frau Merkel ist.
Göring-Eckardt: Wir sagen unseren Wählern, an welchen Inhalten wir uns orientieren. Unsere Gemeinsamkeiten mit der SPD sind inhaltlich. Mit der Union ist das anders. Wie soll man sich beispielsweise mit der CSU über Flüchtlingspolitik einigen? An dem Tag, an dem in Berlin das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma eingeweiht wurde, redete Minister Friedrich von Flüchtlingsströmen. Klar, es gibt in einigen Städten Probleme, weil sich die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien ballt. Da muss man helfen. Aber man darf nicht jene Leute diffamieren und diskriminieren.

Dann schließen Sie doch eine Koalition mit der CDU aus.
Göring-Eckardt: Wir reden über Inhalte.

Was sind die drei zentralen Wahlkampfthemen?
Göring-Eckardt: Ganz vorne stehen die Energiewende, das Thema Gerechtigkeit und die Frage der offenen Gesellschaft.

Was verstehen Sie darunter?
Göring-Eckardt: Zum Beispiel die vollständige Gleichstellung von Schwulen und Lesben. Wenn ich manche Reden aus den Reihen von CDU und CSU im Bundestag höre, wähne ich mich wieder in einem anderen Jahrhundert. Mich erschüttert zum Beispiel, dass Kollegen von Homosexualität als Fehlentwicklung sprechen.

In Niederbayern kommt die Union damit an.
Göring-Eckardt: Bisher wollte die Union ja die Städte zurückgewinnen. Das scheint sie aufgegeben zu haben. An die Kinder von homosexuellen Paaren wird jedenfalls nicht gedacht.

Womit wollen Sie die Leute im Wahlkampf packen?
Göring-Eckardt: Die Frage von Gerechtigkeit und Zusammenhalt ist für die Menschen sehr wichtig.

Das steht für alles und jedes.
Göring-Eckardt: Es treibt viele um, dass die Einkommens- und die Vermögensschere auseinander geht.

Wie groß ist das Potenzial der Grünen? Haben Sie schon eine grüne 18 unter der Schuhsohle?
Göring-Eckardt: Nein. In den Umfragen liegen wir zwischen 14 und 16 Prozent. Über diese Zustimmung freuen wir uns.

Was ist denn Ihr Ziel?
Göring-Eckardt: Dass es mit starken Grünen reicht für den Regierungswechsel.

Und wenn es nicht reicht? Hätten Sie lieber Schwarz-Grün oder eine große Koalition mit Ihnen in der Opposition?
Göring-Eckardt: Es wird reichen.

Und wenn nicht?
Göring-Eckardt: Wir halten uns an die gemeinsamen Inhalte. Die sehe ich mit der SPD und nicht mit der Union.

Was ist mit der Linken?
Göring-Eckardt: Im Bund sind sie nicht regierungsfähig.

Werden Sie nach der Wahl das Berlin/Bonn-Gesetz antasten?
Göring-Eckardt: Darüber diskutiert bei uns niemand. Die Arbeitsteilung funktioniert, das Gesetz steht, und es gehört zum Vertrauen in die Politik, dass Zusagen eingehalten werden. Es freut mich, dass Bonn sich gut entwickelt.

Zum Schluss eine Frage an die frühere Kirchentagspräsidentin und die EKD-Präses, wenngleich da Ihr Amt gerade ruht: Was halten Sie vom neuen Papst?
Göring-Eckardt: Als evangelische Christin ist es mir sehr fremd, alles Hoffen und Bangen auf eine Person zu richten. Aber ich freue mich, wenn der Papst deutlich macht, dass Prunk keine Rolle spielen soll oder dass es wichtiger ist, wie es den Ärmsten geht als den Funktionären in seiner Kirche. Er gibt sich sehr bewusst, sehr menschlich und seine ersten Handlungen lassen hoffen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort