Piratenpartei nach den Wahlen "Hart arbeiten, dran bleiben"

Berlin · Die Piraten sind über den Erfolg bei den Wahlen selbst erstaunt. Nach Berlin und dem Saarland wollen sie jetzt auch Schleswig-Holstein und NRW entern.

Ein schöner Tag für einen Piraten. Und ein schwerer, wenn man nebenbei noch hauptberuflich arbeiten muss. Bei Bernd Schlömer klingelt das Telefon ohne Pause. Das Saarland hat gewählt. 7,4 Prozent Zustimmung für die Saar-Piraten sind ein Wort. Da sind am Tag danach dann auch die Kollegen von der Bundesorganisation in Berlin gefragt. Schlömer ist stellvertretender Bundesvorsitzender der Piratenpartei.

Die basisdemokratischen Piraten überlassen die Deutung von Wahlergebnissen in den Ländern ihren Verbänden in den Landeshauptstädten. Normalerweise. Doch am Tag nach der Saarland-Wahl ist wenig normal. Nicht bei den Piraten. Erst haben sie im vergangenen September das Abgeordnetenhaus von Berlin mit 8,9 Prozent geentert. Jetzt den Landtag in Saarbrücken. Und im Mai sollen die Landesparlamente in Kiel und in Düsseldorf folgen.

Der Bundesvorsitzende Sebastian Nerz und die Politische Geschäftsführerin, Marina Weisband, geben Telefoninterviews am Fließband. Schlömer, hauptamtlich Referent im Verteidigungsministerium in Berlin, ahnt nach ungezählten Anfragen, dass die basisdemokratische Praxis über die nächsten Stunden nicht zu halten sein wird.

Gewählt werde "eine neue Einstellung"

Eilig wird nach einem Termin für eine Pressekonferenz gesucht. Die anderen Parteien haben sich längst öffentlich erklärt, analysiert und gedeutet. Jetzt wird improvisiert. Piraten kennen das.

Das Netz ersetzt doch nicht jeden Auftritt. Weisband sagt am Telefon, dass die Piratenpartei für "eine neue Einstellung" gewählt würde, eine, die den Menschen das Gefühl gebe, dass sie "wieder mitmachen" könnten am Projekt Demokratie.

Was den Unterschied zu anderen Parteien ausmache? Die Piraten hätten keine Führungsriege, keine Kandidatenlisten, die "von oben" vorgegeben würden. Man arbeite "mit den eigenen Händen", was lustig klingt, weil die netzaffinen Piraten vor allem auf die so genannte Schwarmintelligenz des Internets setzen.

Piraten seien dabei "offen für die Stimmen in der Bevölkerung". "Das kostet sehr viel Mühe, aber es lohnt sich, wie man sieht", sagt Weisband. Dass im Saarland fast ein Drittel ihrer Stimmen von Erstwählern kommen oder von jenen, die zuletzt nicht gewählt haben, zeigt für Weisband, dass Menschen, "die bisher nicht gedacht haben, dass Wählen sich lohnt, plötzlich irgendwie sehen, dass etwas Neues in die Politik gekommen ist und Wählen sich doch lohnt." Der Erfolg ist erstaunlich.

Bundesweit hat die Partei 22.500 Mitglieder. Im Saarland sind es gerade 381. Gemessen daran sind vier Mandate im Landtag von Saarbrücken ein echtes Pfund. Viel Zustimmung. Und viel Verantwortung.

Aus den Querelen des Berliner Landesverbandes mit gegenseitigen Vorwürfen der Pöstchenschacherei und allzu öffentlichem Umgang mit vertraulichen Bewerbungsunterlagen im Netz müssen die Piraten laut Weisband lernen, dass persönliche Querelen nicht über die politische Arbeit gestellt werden dürfen. "Hart arbeiten, dran bleiben", ist für die Politische Geschäftsführerin mehr denn je die Devise.

"Wir sind regierungsfähig, wenn wir es sein müssen"

Am Nachmittag haben es die Piraten dann geschafft, ihr Spitzenpersonal in Berlin zusammenzutrommeln. Die Geschäftsstelle misst 100 Quadratmeter Piratenglück, das sich der Landesverband Berlin und der Bundesverband teilen. Wer von den 20 Quadratmeter Bundesverband in die 80 Quadratmeter Landesverband geht, kommt an dem handgeschriebenen Schild vorbei: "Sie verlassen jetzt West-Berlin."

Improvisation? Und wie! Die Piraten haben in Erwartung des Medienansturms drei schwarze und sieben weiße Klappstühle aus Plastik aufgestellt. Gedränge, Ellenbogen. Ein wunderbarer Tag für Piraten. Der Bundesvorsitzende Nerz sagt, das Saarland habe doch gezeigt, dass alle Theorien, Piraten bräuchten großstädtisches Milieu für Wahlerfolge, "nicht stimmen". Piraten könnten Wähler "aus allen Lagern ziehen", vor allem Erst- und Nichtwähler.

Bundes-Vize Schlömer appelliert an die Partei, "bescheiden" zu bleiben und weiter für "gute, bürgernahe Politik" einzustehen. Wohl wahr, Erfolge für die Piraten seien erst einmal auch "Vorschusslorbeeren", aber bitte, an Selbstbewusstsein mangelt es nicht: "Wir haben keine Defizite, wir haben nur Herausforderungen. Wir sind Dafür und nicht Dagegen", sagt Schlömer.

Was die Piraten wollen? Parteivize Schlömer listet auf: gelebter Liberalismus im digitalen Zeitalter, Staatsskepsis sowie ein Leben und Handeln in sozialer Verantwortung.

Parteichef Nerz will sich nicht irre machen lassen von den ewigen Fragen nach möglichen Koalitionen. "Wir sind regierungsfähig, wenn wir es sein müssen", sagt er selbstbewusst. Die Politische Geschäftsführerin Weisband tritt da lieber etwas leiser.

Den Sprung in eine Regierungsbeteiligung will sie den Parteifreunden aktuell lieber nicht empfehlen: "Wir sollten im Moment noch nicht regieren, weil es uns einfach an parlamentarischer Erfahrung fehlt." Aber doch, die Wahlen in Schleswig-Holstein und NRW dürfen kommen.

Anton Hartwig, Praktikant in der Bundesgeschäftsstelle, trägt an diesem Tag ein passendes T-Shirt: "I love SB". SB? Na, eigentlich stehe es für "Snow Boarding", aber an diesem Tag dann doch für Saarbrücken.

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