Bonn und der Rhein-Sieg-Kreis Hochschulen bereiten sich auf den doppelten Abiturjahrgang vor

´BONN · Was denkt sie wohl gerade: die junge Frau auf dem Foto mit den langen blonden Haaren und dem etwas angespannten Gesichtsausdruck? Sie scheint nicht ganz bei der Sache zu sein: vielleicht schon drüben in der Mensa, wo es nachher bei der Essensausgabe wieder ziemlich hektisch werden dürfte.

Oder in der nächsten Vorlesung, wo es ihr mitunter schwer fällt, sich zu konzentrieren. Nebenbei noch eine Wohnung suchen zu müssen, ist enervierend. Und das geht so weiter, bis sie endlich etwas Akzeptables und vor allem Bezahlbares gefunden hat. Einen Studienplatz zu bekommen - das wird ihr langsam klar - war im Grunde nur der erste Schritt.

So stellt sich die Situation für die Studierenden an zahlreichen Hochschulen in Nordrhein-Westfalen schon seit Jahren dar. Mit Beginn des Wintersemesters 2013 am 14. Oktober könnte es allerdings noch etwas enger werden. Denn durch Einführung der verkürzten Gymnasialzeit - wahlweise als G8 oder auch "Turboabi" bezeichnet - haben die Gymnasien gleich zwei Abiturjahrgänge verabschiedet. Erwartet wird ein Ansturm auf Universitäten und Fachhochschulen.

Und während Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) deren Kreativität und Arbeitseinsatz lobt und nicht müde wird zu erklären, es sei Platz für alle, gibt es auch diejenigen, die wie der Landesvorsitzende des Philologenverbands warnen, man laufe "sehenden Auges in die Katastrophe". Das Ministerium rechnet landesweit mit einem Anstieg der Studentenzahlen um rund 20 Prozent.

An der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn sieht man dem relativ gelassen entgegen. Grund dafür sind die Zulassungsbeschränkungen für Bachelor- und Master-Studiengänge seit 2006, wie Uni-Sprecher Andreas Archut erläutert. Zulassungsfrei sind heute nur noch sechs Fächer: katholische, altkatholische und evangelische Theologie, Chemie, Latein und Griechisch. In allen anderen hängt die Zahl der möglichen Studierenden von der Zahl der Lehrkräfte ab.

Und da sie begrenzt ist, beschränkt dies auch die Zahl der Studienplätze. "Andernfalls erhielte der Studiengang keine Akkreditierung", erklärt Archut. Sofern die Anzahl der Bewerber die Zahl der Studienplätze übersteigt - und angesichts des doppelten Abiturjahrgangs ist dies der Fall - wird die Zulassung durch einen uni-internen Numerus Clausus (NC) beschränkt. Wer in Bonn studieren möchte, hat also umso größere Chancen, je besser die Abiturnote ist. Wenn es auch nicht immer und überall gleich eine eins vor dem Komma sein muss.

Tatsächlich wird wegen der vielen Mehrfachbewerbungen ein NC gewählt, bei dem rechnerisch deutlich mehr Bewerber zum Zuge kommen könnten, als es Plätze gibt. Dieses "Überbuchen" sei nötig, weil längst nicht alle Interessenten, die eine Zulassung erhalten, den Platz auch annehmen. Aus Sicht der Studenten eine notwendige Strategie - für die Universität Bonn längst Routine, was allerdings auch dazu führt, dass die exakten Zahlen frühestens Mitte Oktober vorliegen.

Soviel vorweg: "7045 Studienplätze haben wir jetzt mit Erstsemestern zu besetzen, einschließlich Master", fügt Archut hinzu. Statt der bislang üblichen 58.000 Bewerbungen sind es rund 70.000, was aber auch Mehrfachbewerbungen einschließt. Für die Universität Bonn also kein Grund, beunruhigt zu sein. Jedenfalls nicht so wie eine ganze Zahl von Abiturienten, die sich angesichts der Warnungen vor der "studentischen Sintflut" nach Alternativen umgeschaut hätten. "Das kann ein Auslandsaufenthalt sein, ,Work and Travel' oder ein freiwilliges soziales Jahr", zählt Archut auf. "Und auch ein NC schreckt viele ab."

Die große Welle sei bislang ausgeblieben. So ist der Ausbau von Studienplätzen und des damit verbundenen Angebots - um mit den Öffnungszeiten der Universitätsbibliothek nur eines davon zu nennen - in Bonn eher als langfristiger Prozess zu verstehen.

Die Talsohle, die 2010 bedingt durch den Bologna-Effekt und die Einführung der Studiengebühren (Sommersemester 2007) mit 27.132 Studierenden erreicht war, ist längst durchschritten. Seinerzeit lag die Auslastung bei 80 Prozent, heute sind es 97 Prozent. Die Gebühren wurden zum Wintersemester 2011/2012 wieder abgeschafft. Seither ist die Zahl der Studenten auf gut 31.000 gestiegen: ein Niveau, auf dem sie sich voraussichtlich auch in den nächsten Jahren bewegen wird.

Worauf sich ihrerseits die Bonner Universität eingerichtet hat: Mehr als 3000 zusätzliche Studienplätze seien in den vergangenen Jahren eingerichtet worden: "Nur können wir leider nicht die Zahl unserer Professoren und Dozenten beliebig erhöhen", fügt Archut hinzu. Dazu kommen Platzprobleme im Hauptgebäude. Fluch und Segen eines alten Schlosses, das den verschärften Brandschutzvorschriften nicht überall genügt. So dürfen die Aula und der benachbarte Hörsaal nicht mehr gleichzeitig genutzt werden, weil sonst der Fluchtweg zu schmal ist.

Der Einbau zusätzlicher Treppenhäuser lässt sich mit dem Denkmalschutz schwer bis gar nicht in Einklang bringen. Platz könnte eine bessere Auslastung der Hörsäle schaffen. Hier heiße es, sich von Gewohnheitsrechten zu verabschieden. Erleichterung ist in Sicht, wenn 2015 in Poppelsdorf ein neues Hörsaalgebäude und weitere Institute fertig werden. Darüber hinaus richtet die Universität begehrliche Blicke auf das benachbarte Viktoriakarree: "Dort wäre ein idealer Platz für unsere philologischen Bibliotheken" ergänzt Archut.

Zukunftsmusik bislang. An der Hochschule Bonn/ Rhein-Sieg hingegen startet das neue Semester bereits am 16. September. Aber auch dort ist von Nervosität wenig zu spüren. 7784 Studienanfänger haben sich nach Angabe der Hochschule dort beworben, 2012 waren es 5081. 1624 von ihnen werden einen Studienplatz bekommen - exakt so viele wie 2012. Da die Hochschule erstmals mit insgesamt mehr als 7000 Studierenden rechnet, wurden Seminarräume und Hörsäle ausgebaut.

Langfristig sind weitere 5400 Quadratmeter Fläche in Sankt Augustin und Rheinbach geplant. Die Zahl der Professuren wurde seit 2011 um 30 Prozent auf 140 erhöht, dazu kommen 50 neue Lehrbeauftragte.

Ähnlich sieht es an der sechs Kilometer vom Bonner Stadtzentrum entfernten Alanus Hochschule in Alfter aus. Dort seien, so Pressesprecherin Claudia Zanker, die Studentenzahlen in fünf Jahren von 420 (2007) auf inzwischen 970 (2012) gestiegen, was eine Erweiterung der Räume sowie eine Aufstockung der Mitarbeiter in Lehre und Verwaltung erforderte: "Da zu unserem Konzept die intensive Betreuung in kleinen Studiengruppen gehört, können wir nicht einfach ein paar Stühle dazustellen. In den Auswahlverfahren müssen wir daher stärker als zuvor filtern."

Eine Konsequenz, die angesichts finanzieller und struktureller Grenzen letztlich fast alle Hochschulen ziehen, so dass der erwartete Ansturm im Voraus ausgebremst wird. Auf der anderen Seite heißt das: Mehrfachbewerbungen und das Bangen, ob die Abiturnote für die Zulassung genügt, sowie die anschließende Suche nach einer Bleibe - oft unter erheblichem Zeitdruck - werden auch weiterhin zum studentischen "Alltag" gehören.

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