Das Porträt Hollandes Mann fürs Deutsche
PARIS · Der Germanist Jean-Marc Ayrault gilt als Favorit für das Amt des französischen Premierministers. Jean-Marc Ayrault hält sich bereit. Bescheiden und diskret, so wie es seine Art ist. Im Vorfeld der Wahl hat sich der 62-Jährige stets geweigert, die Spekulationen zu kommentieren, er werde wohl Frankreichs neuer Premierminister.
Zugleich blieb er geschickt in der Nähe von François Hollande, dem neu gewählten Präsidenten.
Wenn dieser nach der offiziellen Amtsübergabe seinen Regierungschef bekanntgibt, gilt Ayrault als Favorit. Es wäre auch ein starkes Signal an Deutschland: Der ehemalige Deutschlehrer, der ein Jahr seiner Studienzeit in Würzburg verbracht hat, gilt als feiner Kenner des Nachbarn rechts des Rheins.
Als Hinweis auf ihn wird Hollandes Erklärung gewertet, er wolle einen Premierminister, der die sozialistische Partei genau kenne und mit dem er gut auskomme. Ersteres trifft auf Ayrault wie auch auf Parteichefin Martine Aubry zu, die als weitere heiße Anwärterin gilt. Doch die Beziehung zwischen Hollande und Aubry, die ihm bei der parteiinternen Kandidatenkür unterlag, gilt als gespannt.
Ayrault, seit 1989 Bürgermeister der Loire-Stadt Nantes und seit 1997 Chef der Sozialisten-Fraktion in der Nationalversammlung, ist hingegen ein treuer Weggefährte Hollandes und positioniert sich ebenfalls in der Parteimitte.
Manchen erscheinen die Charaktere gar als zu ähnlich: Ayrault mit seiner wenig telegenen Ausstrahlung eines soliden Technokraten teilt mit Hollande ein geringes Maß an Charisma. Der scheidende Präsident Nicolas Sarkozy hatte mit seinem Premierminister François Fillon bewusst einen Politiker gewählt, der mit seiner bedächtigen Art als idealer Ausgleich wirkte. Außerdem wird nicht nur Hollande mangelnde Regierungserfahrung vorgeworfen, sondern auch Ayrault, der anders als Aubry nie Minister war.
Kritiker verweisen zudem auf die Verurteilung Ayraults 1997 wegen Begünstigung zu einer Geldstrafe und sechs Monaten auf Bewährung. Es ging dabei um die Auftragsvergabe ohne Ausschreibung an ein Unternehmen für den Druck der Stadtzeitung, dessen Besitzer zugleich Parteispender war.
Ayrault hat die Verantwortung übernommen, betont aber, seine persönliche Integrität sei nicht in Frage gestellt. Die Bewohner von Nantes hätten ihn seither zweimal klar wiedergewählt. Ayrault hat die Stadt einer Modernisierungskur unterzogen.
Ob Premierminister oder nicht - in jedem Fall wird er eine bedeutsame Rolle in der künftigen französischen Regierung spielen, auch dank seiner Deutschland-Kenntnisse. Dass Hollande noch am Abend seiner Vereidigung nach Berlin fliegt, wird in Frankreich aufmerksam registriert.
Im Wahlkampf hatte er Angela Merkel gewarnt, nicht Deutschland allein entscheide über den Weg Europas. Er forderte eine Erweiterung des Fiskalpaktes um Wachstums-fördernde Maßnahmen, während die Kanzlerin seinen Rivalen Sarkozy unterstützte und Hollande nicht empfing. Längst hat aber ein reger Austausch zwischen beiden Lagern eingesetzt. Es wird erwartet, dass sich das neue Paar beim ersten persönlichen Treffen zusammenraufen wird.