Designierter FDP-Vorsitzende Christian Lindner "Ich empfehle Substanz statt Effekte"

Am übernächsten Wochenende soll Christian Lindner, bisher FDP-Chef in NRW, zum Bundesvorsitzenden gewählt werden. Mit ihm sprach Ulrich Lüke.

 Will FDP-Parteivorsitzender werden: Christian Lindner, derzeit Landes- und Landtagsfraktionschef in Nordrhein-Westfalen.

Will FDP-Parteivorsitzender werden: Christian Lindner, derzeit Landes- und Landtagsfraktionschef in Nordrhein-Westfalen.

Foto: dpa

Sie wollen in zehn Tagen zum FDP-Vorsitzenden gewählt werden. Warum tun Sie sich das an?
Christian Lindner: Ich bin davon überzeugt, dass es in Deutschland eine Partei geben muss, die vom Einzelnen her denkt. Eine Partei, die den Menschen vertraut, und die daher zurückhaltend mit Eingriffen in das Miteinander in Wirtschaft und Gesellschaft ist. Eine Partei, die Eigenverantwortung mit Chancengerechtigkeit verbindet. Jeder, der eine solche liberale Partei will, muss sich jetzt mit seinen Möglichkeiten einbringen.

Kann sich Geschichte wiederholen? Sie haben im Frühjahr 2012 die FDP in NRW zum Wahlerfolg geführt. Glauben Sie wirklich, das gelingt im Bund 2017 auch? Bis dahin ist die FDP doch vergessen...
Lindner: Ich bin fest entschlossen. Die große Koalition tut alles, um die Notwendigkeit der FDP zu unterstreichen. Wenn Schwarz-Rot im Bundestag mehr Bürokratie beschließt, dann kritisiert zudem nur eine links-grüne Opposition, dass die bürokratischen Fesseln noch nicht fest genug sitzen. Es fehlt die marktwirtschaftliche, bürgerliche Position. Schließen können werde ich diese Lücke aber nicht allein, sondern nur mit einem Team neuer, kompetenter, glaubwürdiger Mitstreiterinnen und Mitstreiter.

Die SPD, hat Sigmar Gabriel auf dem Leipziger Parteitag gesagt, will der neue Hort des Liberalismus werden...
Lindner: Sagt der Vorsitzende der Partei, die mit der Vorratsdatenspeicherung alle Bürger unter Generalverdacht stellen will? Die Grünen haben ja auch ähnlich argumentiert. Schon bemerkenswert, dass die Partei, die uns grade noch den Speiseplan diktieren wollte oder Steuersätze von 87 Prozent im Programm hatte, jetzt liberal sein will. Ich halte es da mit Thomas Mann: Gefährlicher für die Freiheit als ihre echten Feinde sind ihre falschen Freunde.

Hab ich das richtig verstanden: 87 Prozent Steuersatz?
Lindner: Ja, das hatte ja der DIHK als Grenzbelastung des grünen Steuerkonzepts errechnet.

Was war in der Rückschau der entscheidende Fehler von Schwarz-Gelb?
Lindner: Wir haben einen ausgeglichenen Staatshaushalt 2014, volle Sozialkassen, einen robusten Arbeitsmarkt und auch ordentliche Wachstumszahlen im nächsten Jahr. Wir haben das Land mit einer stabilitätsorientierten Krisenpolitik gut durch die Staatsschuldenkrise in Europa manövriert. Aber...

...Die Frage ging auf die Fehler...
Lindner: Ja, deshalb gerade das Aber. Die Regierungsbilanz ist also außerordentlich positiv, aber die Erfolge sind untergegangen in vielen zum Teil nebensächlichen Streitereien. Gerade die FDP hat in Prioritäten und Stil enttäuscht. Und in der letzten Woche vor der Wahl waren wir ja komplett neben uns.

,Komplett neben uns´ heißt: Sie haben sich der Union zu sehr angebiedert?
Lindner: Wir haben nicht für uns als liberale Kraft geworben, sondern für die Politikerin einer anderen Partei. Das widerspricht unserem Selbstverständnis. Wir werben für unsere Überzeugungen, nicht für andere Parteien.

Was war, abseits des Wahlkampfs, der größte Fehler von Philipp Rösler?
Lindner: Wir arbeiten unsere Wahlniederlage auf, aber rechnen nicht persönlich ab. Wir sind die Partei der Eigenverantwortung. Das heißt: Wir stellen uns gemeinsam unserer Verantwortung für diese Niederlage. Einzelne verantwortlich zu machen, hielte ich nicht für angemessen im Umgang, wie er in einer bürgerlichen Partei gepflegt werden sollte.

Sie haben gerügt, dass die Energiewende nicht marktwirtschaftlich genug betrieben wird...
Lindner: So ist es. Bei der Energiewende handelt es sich um die größte Umverteilungsmaschine, die wir in Deutschland haben. Mit einem aberwitzigen Tempo, und als deutscher Sonderweg in Europa. Jenseits des physikalisch Möglichen und ökonomisch Tragfähigen. Das hilft Klima und Umwelt nicht. Das ist die größte Belastungsprobe für unseren Wirtschaftsstandort. Hier ist dringend ein Umsteuern erforderlich, hin zu einem marktwirtschaftlichen Neustart der Energiepolitik. Wir hätten unsere Konzepte entschiedener gegenüber der Union, aber auch gegenüber Rot-Grün vertreten müssen.

Das klingt nach einer Absage an diese Energiewende...
Lindner: Nein. Das Ziel der Energiewende ist, 80 Prozent der Energie im Jahr 2050 aus erneuerbaren Quellen zu beziehen. Daran kann man festhalten. Aber dafür brauchen wir nicht das aktuelle Tempo, das für Verbraucher und Wirtschaft zu hoch ist. Davon profitieren wegen der Dauersubventionen nur wenige Investoren auf Kosten aller. In der großen Koalition wird sogar über eine Beschleunigung nachgedacht. Notwendig wären dagegen Wettbewerb um niedrigere Kosten und höhere Effizienz sowie europäisches Denken.

Zurück zur Partei. Warum haben Sie sich vor zwei Jahren eigentlich von Rösler abgesetzt, Ihr Amt als Generalsekretär aufgegeben? Sie haben darüber öffentlich nie geredet...
Lindner: Ich hatte politische Gründe. Meine Maßstäbe an die eigene Arbeit und die Erwartungen Dritter passten nicht mehr zusammen. Einer sollte Konsequenzen ziehen. wenn man in einem Team nicht mehr die Übereinstimmung hat, die es braucht.

Konkreter geht's nicht?
Lindner: Nein, gerade jetzt, wo Philipp Rösler aus seinem Amt ausscheidet, bleibt das eine Angelegenheit zwischen uns beiden.

Hat die alte junge Garde in der künftigen FDP-Führung noch einen Platz?
Lindner: Was meinen Sie genau?

Können Sie sich etwa Daniel Bahr wieder als NRW-Landeschef vorstellen?
Lindner: Solche Fragen stehen in der Landespartei momentan nicht an. Unabhängig von Ämtern habe ich große Sympathie für und Respekt vor Daniel Bahr, der einer unserer fähigsten Köpfe ist.

Gehen Sie so weit wie die CSU und bieten einem Euro-Kritiker - bei Ihnen heißt er Frank Schäffler, bei der CSU Peter Gauweiler - einen stellvertretenden Parteivorsitz an?
Lindner: Nein, bei uns wählt der Parteitag. Frank Schäffler hat angekündigt, für das Präsidium kandidieren zu wollen. Das ist sein gutes Recht. In der Sache aber halte ich seinen Kurs nicht für verantwortbar. Er will Staaten in die Zahlungsunfähigkeit schicken und stattdessen deren Banken retten. Gerade jetzt, wo wir eine langsame Entspannung im Euroraum sehen, würden so neue Turbulenzen aus ideologischen Gründen provoziert. Größere Sorgen mache ich mir über die große Koalition, dass sie den Euro-Kurs der letzten vier Jahre verlassen könnte. Es darf etwa durch die Hintertüre der europäischen Bankenunion jetzt keine Transferunion geben, gegen die wir uns gestemmt haben.

Der FDP-Ehrenvorsitzende hat sich sehr kritisch über die bisherige Parteiführung geäußert, hat Sorgen um den Europa-Kurs seiner Partei. Teilen Sie seine Kritik?
Lindner: Es besteht kein Anlass zur Sorge. Wir wollen Europa, weil wir nur gemeinsam unseren Wohlstand und unseren Lebensstil verteidigen können. Das haben die NSA-Enthüllungen erneut unterstrichen. Aber Europa muss marktwirtschaftlicher, bürgernäher und demokratischer werden, damit es eine gute Zukunft hat.

Opposition ist Mist, heißt ein Wort von Franz Müntefering. Ist außerparlamentarische Opposition großer Mist?
Lindner: Es ist eine schwierige Lage, deshalb wollen wir die Parlamentspause auch kurz halten. Im Bundestag fehlt jetzt die Stimme der Marktwirtschaft, die zu Maß und Mitte anhält und die Bürgerrechte verteidigt. Die grenzenlose Regelungslust der großen Koalition ist im Grunde ein Misstrauensvotum gegenüber der Eigenverantwortung aller Menschen. Einer Regierung, die ihnen misstraut, sollten die Menschen misstrauen.

Wie wollen Sie denn außerhalb des Parlaments Aufmerksamkeit erregen? Durch spektakuläre Aktionen, durch eine Talkshow nach der anderen?
Lindner: Ich empfehle Substanz statt Effekte. Mehr denn je sind Seriosität und Konzepte gefragt. Ich habe auch keine Befürchtung, dass wir keinerlei Aufmerksamkeit mehr hätten. Wir werden schon gefragt sein, wenn auch nicht jeden Abend in der Tagesschau.

War die jahrzehntelange feste Bindung der FDP an die Union ein Fehler?
Lindner: Wir sind eigenständig und jetzt sind wir eigenständiger denn je. Zwischen CDU/CSU und SPD ist ja kaum noch ein Unterschied auszumachen. In atemberaubendem Tempo hat die CDU sich von den Prinzipien der bürgerlichen Politik der letzten vier Jahre widerstandslos verabschiedet. Ich kann mir vorstellen, mit den Grünen gemeinsam gegen die Vorratsdatenspeicherung, also das Bespitzeln in der Privatsphäre, zu agieren. Es gibt in der Industriepolitik Berührungspunkte mit der Sozialdemokratie. Es gibt mit Blick auf die Marktwirtschaft immer noch große Übereinstimmung mit dem kleinen Wirtschaftsflügel der CDU. Wir definieren uns nicht mehr über die Nähe oder Ferne zu anderen Parteien, wir werden uns selbst definieren.

Die Union gibt ihre markwirtschaftlichen Prinzipien auf. Ist das nicht zu schweres Geschütz. das Sie da auffahren?
Lindner: Die Ergebnisse sprechen für sich und ich zitiere nur Unionspolitiker. Wolfgang Schäuble hat ausgerechnet, dass die Vorhaben dieser großen Koalition bis zu zwei Millionen Beschäftigungsverhältnisse und 48 Milliarden Euro kosten würden. Die Union lässt zu, dass der Eindruck entsteht, die SPD habe die Bundestagswahl gewonnen. Da brauche ich gar keine Schärfe hinzuzufügen.

Ihre drei gravierenden Kritikpunkte am Programm der großen Koalition?
Lindner: Erstens: Die Gelegenheit, den Staat aus der Abhängigkeit seiner Gläubiger zu befreien, wird nicht genutzt. Statt Schulden abzubauen, wird das Geld mehr oder weniger in die Einlösung teurer Wahlgeschenke regelrecht verschossen. Zweitens: eine leider nur gut gemeinte Politik, mit der alle möglichen wirtschaftlichen und persönlichen Freiheiten eingeschränkt werden, insbesondere am Arbeitsmarkt. Wenn das Ergebnis höhere Arbeitslosigkeit ist, wird Deutschland damit kein bisschen sozialer.

Drittens?
Lindner: Es findet eine Enteignung der Mittelschicht statt. Der Verzicht auf die Senkung des Rentenversicherungsbeitrags, der Verzicht auf die Dämpfung der kalten Progression, die ja nichts anderes ist als eine automatische Steuererhöhung ist, das zeigt: Es werden nicht die Millionäre belastet, sondern Millionen in der Mittelschicht. Die große Koalition einigt sich auf Kosten der fleißigen Arbeitnehmer. Da ist keine Politik, die ich bürgerlich finde.

Letzte Frage: Sie sind jetzt 34, wann ist für Sie mit der Politik Schluss?
Lindner: Ich bin mit Leib und Seele Parlamentarier. Ich will noch lange Politik machen. Deshalb kämpfe ich ja auch dafür, dass die FDP wieder Respekt gewinnt.

Zur Person

Christian Lindner, 1979 in Wuppertal geboren, gilt als der Hoffnungsträger der FDP. Lindner studierte in Bonn Politik, Staatsrecht und Philosophie. Parallel dazu arbeitete er - wenig erfolgreich - als freier Unternehmer und war von 2000 bis 2009 Landtagsabgeordneter in Düsseldorf, damals der jüngste in der Geschichte des Landtags. Von 2004 bis 2010 war er Generalsekretär der FDP-NRW, Ende 2009 bis Ende 2011 der Bundespartei. 2012 wurde er Landeschef der FDP und Fraktionschef im Landtag.

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