Edathy-Anklage Im Halbdunkel der Macht

BERLIN · Zwei Kollegen. Beide Junggesellen. Beide mit einem Problem: Sie sind erschöpft. Michael Hartmann wird Sebastian Edathy gut vier Monate später ins politische Aus folgen. Im Falle von Hartmann ist es vielleicht nur eine vorübergehende Auszeit von der Politik.

 Auf einem Höhepunkt seiner Karriere: Sebastian Edathy steht als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses im Juli 2012 im Anhörungssaal des Paul-Löbe-Hauses neben einem Schrank mit Akten des Bundesamts für Verfassungsschutz.

Auf einem Höhepunkt seiner Karriere: Sebastian Edathy steht als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses im Juli 2012 im Anhörungssaal des Paul-Löbe-Hauses neben einem Schrank mit Akten des Bundesamts für Verfassungsschutz.

Foto: dpa

Aber im Februar dieses Jahres, als der SPD-Politiker Edathy mit Wahlkreis Nienburg II-Schaumburg sein Bundestagsmandat zurückgibt, ist Hartmann noch innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Hartmann ist ein beliebter Kollege - in der Bundestagsfraktion in Berlin und noch mehr in seinem Heimatwahlkreis in Rheinland-Pfalz.

Edathy und Hartmann arbeiten als Innenpolitiker thematisch eng zusammen. Die gemeinsame Arbeit verbindet. Monate vor dem 7. Februar dieses Jahres, als Edathy völlig überraschend erklärt, er lege sein Bundestagsmandat nieder, taucht Hartmann zu einem Vier-Augen-Gespräch bei SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann auf. Hartmann informiert Oppermann, dass es Edathy nicht gut gehe. Dieser habe gesundheitliche Probleme.

Edathy hatte in der abgelaufenen Legislaturperiode ein großes Pensum zu stemmen. Der Niedersachse leitete als Vorsitzender den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Eine Zusatzbelastung auf Zeit zwar, aber eine, die viel Sitzfleisch und jede Menge Aktenstudium - auch nachts und an Wochenenden - verlangt. Für Privatleben bleibt da nicht viel Zeit.

Hartmann ist der zuständige Sprecher der Arbeitsgruppe Inneres in der SPD-Bundestagsfraktion. Oppermann bittet ihn bei diesem Gespräch, wie der SPD-Fraktionschef später in einer Presseerklärung auch noch einmal schriftlich festhält, "sich deswegen um Sebastian Edathy zu kümmern".

Knapp vier Monate nach dieser Unterredung mit Hartmann und der Bitte, dieser möge sich um den Kollegen Edathy kümmern, gerät Oppermann selbst öffentlich in größte Bedrängnis. Er muss erklären, warum er im Oktober 2013 einen Telefonkontakt zum Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, suchte.

Nach Oppermanns Darstellung habe er sich damals Informationen von Ziercke "bestätigen lassen", dass der Name von Edathy "im Rahmen von Ermittlungen im Ausland aufgetaucht" sei. Diese Version musste Oppermann später korrigieren, "weil es eine aktive Bestätigung durch Herrn Ziercke nicht gab".

Edathys Name jedenfalls wird mit Ermittlungen in Hunderten Verdachtsfällen von Kinderpornografie genannt. Dem Mann geht es schlecht. Kollege Hartmann kümmert sich um ihn. Im Februar dieses Jahres legt Edathy für die meisten überraschend sein Bundestagsmandat aus gesundheitlichen Gründen nieder.

"Erschöpfungssymptome". In einem "Spiegel"-Interview, das er an einem nicht bezeichneten Ort im Süden Europas gibt, sagt Edathy Sätze wie: "Ich bin nicht pädophil. In der Kunstgeschichte hat der männliche Akt, auch der Kinder- und Jugendakt, eine lange Tradition. Man muss keinen Gefallen daran finden. Man darf es aber."

Die Staatsanwaltschaft Hannover ist nach Monaten der Ermittlungen nun zu dem Ergebnis gelangt: Edathy hat etwas getan, was er nach deutschem Recht nicht durfte. Zwar betonte Edathy in dem Interview noch: "Ich muss und ich werde mich für mein Privatleben nicht entschuldigen oder rechtfertigen.

Niemand, der sich im privaten Bereich rechtskonform verhält, muss das. Der Schutz der Privatsphäre ist elementar für einen Rechtsstaat." Doch nun haben die staatlichen Ermittler Anklage gegen den früheren SPD-Abgeordneten erhoben. Edathy lebt weiter abgetaucht von der Öffentlichkeit.

Ähnliches gilt kurioserweise zurzeit für seinen Fraktionskollegen Hartmann, der für Edathy über Monate eine Art Mentor war. Vor zwei Wochen war öffentlich geworden, dass ausgerechnet Hartmann, der SPD-Innenexperte, Kontakt ins Drogenmilieu hat beziehungsweise hatte. Es geht um die Droge Crystal Meth, die zwar kurzfristig die Leistung puscht, aber auch sofort abhängig macht. In seinem Umfeld heißt es, Hartmann habe sich in der Phase des harten Bundestagswahlkampfes 2013 zunehmend ausgelaugt gefühlt und schließlich nach einem leistungssteigernden Mittel gesucht. Dass er ausgerechnet bei Crystal Meth landet, können sich auch ihm nahestehende Genossen nicht erklären.

Doch anders als Edathy hat zwar Hartmann seinen Posten als innenpolitischer Sprecher sowie als Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) zur Kontrolle der Geheimdienste geräumt, sein Bundestagsmandat aber behalten. Comeback also möglich. Vor einigen Tagen hat der Rheinland-Pfälzer über seinen Anwalt erklären lassen, "im Herbst 2013 in geringer eigenverbrauchsüblicher Menge" die Droge Methamphetamin erworben, den gelegentlichen Konsum aber nach nur einem Monat beendet zu haben.

Angeblich soll es sich um drei Gramm Crystal Meth gehandelt haben. Gegen Hartmann wird wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ermittelt. Gegen Edathy liegt inzwischen eine Anklage vor - wegen des Verdachts auf Besitz kinderpornografischer Bilder und Dateien. Starker Tobak - auch für SPD-Fraktionschef Oppermann. So sehr er den Start der großen Koalition aus SPD-Sicht auch lobt, die Fälle Edathy und Hartmann sind gewissermaßen auch eine Belastung für ihn.

Der Paragraf 184 b

Die Strafbarkeit von Kinderpornografie wurde in den vergangenen Jahren sukzessive von den Gesetzgebern verschärft. Für den Besitz entsprechenden Materials droht aktuell laut Paragraf 184 b ("Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften") des Strafgesetzbuches eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe. Das Strafmaß für die Verbreitung, Vorführung und Herstellung ist mit bis zu fünf Jahren noch etwas höher angesetzt. Wenn der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, sieht das Gesetz sogar Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren vor.

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