Neuen Verteidigungsdimensionen Im Kriegsnetz
BERLIN · Die Bundeswehr und die neuen Verteidigungsdimensionen: Das Thema hatte höchste Brisanz. Schon vor dem vorletzten Nato-Gipfel im November 2011 in Lissabon machte die Nachricht Schlagzeilen, Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen werde womöglich versuchen, die Alliierten darauf einzuschwören, Angriffe auf das Computernetzwerk des Militärbündnisses als Fall von Artikel 5 des Transatlantikvertrages einzustufen. Das wäre Alarmstufe Rot.
Denn danach würde eine solche Cyberattacke auf die Software der Nato als Kriegserklärung ausgelegt: ein Angriff, der den kollektiven Beistand der 28 Nato-Partner auslösen würde. Die Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten entschieden sich in den Tagen von Lissabon, den Fall tiefer zu hängen.
Doch sowohl in der Abschlusserklärung wie auch bei dem in Lissabon verabschiedeten neuen Strategischen Konzept des Militärbündnisses sind Cyberattacken ausdrücklich als wachsende Gefahr der neuen Zeit erwähnt.
Mehr noch: Die Allianz verabredete, die eigenen Fähigkeiten, diese Angriffe abzuwehren, schnellstmöglich zu verbessern, wie auch die Fähigkeit, auf solche Attacken zu antworten. Auch sollten alle NATO-Behörden zentral gegen Computerangriffe feindlich gesinnter Geheimdienste, organisierter Krimineller, Terroristen oder Extremisten geschützt werden. Artikel 5 freilich würde eine Cyberattacke bis heute nicht auslösen. Dies werde, so heißt es bei der Nato in Brüssel, stets von "Fall zu Fall" und "im Konsens" entschieden.
Zur Abwehr von Cyberangriffen auf das Computernetzwerk arbeitet bei der NATO längst eine eigene Abteilung von IT-Spezialisten im militärischen Hauptquartier im belgischen Mons. Geleitet wird der Trupp vom deutschen Drei-Sterne-General Kurt Herrmann. Die Aufgabe hat mittlerweile höchste Priorität. "Eine gezielte, professionelle Cyberattacke kann heute die gleiche Wirkung haben wie ein Angriff mit herkömmlichen Waffen. Diese Bedrohung wächst nicht linear, sondern exponentiell", hat Herrmann einmal gesagt.
Jetzt hat die Bundeswehr mit einer eigenen Einheit zur Abwehr von Computerangriffen nachgezogen. Die Meldungen, die Bundeswehr habe die "Anfangsbefähigung" für Attacken in gegnerischen Netzen erreicht, sorgte am Dienstag für Furore. So zitiert die "Financial Times Deutschland" aus Unterlagen des Verteidigungsministeriums. Demnach sei eine entsprechende Einheit in Gelsdorf bei Bonn angesiedelt.
Das Verteidigungsministerium beschäftigt sich seit zwei Jahrzehnten mit den im Internet gewachsenen Bedrohungen. Konkret aufgebaut wurden die Cyber-Einheiten ab 2006. Ziel für die Einsatzfähigkeit war ursprünglich 2010.
Die Größe der Einheiten ist konkret nicht bekannt, soll aber deutlich unter hundert Soldaten liegen. Rekrutiert wurden unter anderem Informatik-Studenten aus der Hamburger Bundeswehr-Universität.
Schwierigkeiten gibt es in der Vorstellungswelt der Militärs bei der juristischen Begründung von Cyber-Einsätzen. Umstritten ist, ob der Bundestag einem Einsatz gegen feindliche Netze zustimmen muss. In der SPD-Bundestagsfraktion wurde schon darauf hingewiesen, dass dieselben Regeln wie für den konkreten physischen Kriegseinsatz deutscher Soldaten gelten. Es ist auch die Frage, ob ein Parlamentsbeschluss nicht hinderlich für die zwingende Geheimhaltungsnotwendigkeit der Cyber-Aktivitäten ist.