Arkadasin und Yardimin Immer mehr Polizisten mit Migrationshintergrund in NRW

KÖLN · Nie gab es in NRW mehr Polizeianwärter mit Migrationshintergrund. Was einst Ausnahme war, soll nun normal sein. Gleichzeitig wird der Polizei von Politikern und Experten große Nähe zur AfD attestiert. Wie passt das zusammen?

 Der Kölner Polizist Nawid Faalnazari vor der Wache im Stadtbezirk Nippes.

Der Kölner Polizist Nawid Faalnazari vor der Wache im Stadtbezirk Nippes.

Foto: Boisseree

Die AfD-Fraktion im Bundestag stellt sieben ausgebildete Polizisten, mehr als alle übrigen Parteien (SPD drei, CDU/CSU und Grüne jeweils einer) zusammen. Vielleicht war Friedrich Merz diese Statistik bekannt, als er kürzlich warnte: „Wir verlieren Teile der Polizei an die AfD.“ So wie Martin Hess, der als Polizist mittlerweile für die Rechtspopulisten im Bundestag sitzt und jüngst eine „Festung Europa“ forderte.

Wäre die Migration auf den „alten Kontinent“ nicht möglich, wer weiß, ob Nawid Faalnazari heute als Polizeioberkommissar für Recht und Sicherheit in Köln sorgen könnte. Der 36-Jährige ist Sohn iranischer Eltern, die Ende der 70er Jahre aus ihrer Heimat nach Deutschland immigrierten. Faalnazari wurde in Berlin geboren und ist in Köln aufgewachsen. „Meine Eltern wollten, dass ich Arzt oder Anwalt werde“, sagt Faalnazari. „Aber ich war schon als Junge immer der Vernünftige im Freundeskreis. Da war es später recht schnell klar, dass ich zur Polizei gehe. Damit waren meine Eltern dann auch zufrieden.“

"Vielfalt widerspiegeln"

Solche Bewerber sind bei der Polizei NRW gefragt. 2010 startete die Regierung eine Initiative, um mehr Migranten auf den öffentlichen Dienst aufmerksam zu machen. Damals hatten weniger als sechs Prozent aller neu eingestellten Polizisten einen Migrationshintergrund. 2018 stieg der Anteil der Arkadasin und Yardimin, der Freunde und Helfer mit Migrationshintergrund, auf 13,5 Prozent. „Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung“, sagt Victor Ocansey, gebürtiger Ghanaer und Sprecher des Landesamts für Ausbildung der Polizei (LAFP). „Es ist wichtig, dass wir die gesellschaftliche Vielfalt widerspiegeln und Menschen mit Migrationshintergrund in den Polizeidienst stellen.“

Ähnlich sieht es die Türkische Gemeinde in Deutschland, Vertretung der größten Migrantengruppe hierzulande. „Wenn sich diese Vielfalt nicht in unseren Institutionen zeigt, dann fehlen wichtige Perspektiven, um ein friedliches Zusammenleben zu gestalten“, sagt Sprecher Cihan Sinanoglu. Er verweist auf die NSU-Morde, bei denen erst die Familien der getöteten Migranten ins Visier gerieten. Ein rechtsextremer Hintergrund wurde lange ausgeschlossen. „Mehr Polizisten mit Einwanderungsbiografien führen dazu, dass überalterte Strukturen innerhalb der Polizei infrage gestellt und modernisiert werden. Ein weiterer positiver Effekt könnte sein, dass Bürger mit Migrationshintergrund sich mit unseren Sicherheitsbehörden mehr identifizieren.“

Im Kölner Multikulti-Stadtteil Nippes arbeitet Nawid Faalnazari tagtäglich mit Deutschen und Mi-granten in Uniform zusammen. Über die Einsatzhundertschaft und die Zivilfahndung kam er letztlich in die Stadtteil-Wache. „Zu Beginn war ich einer von ganz wenigen Anwärtern mit nicht-deutschen Wurzeln“, erzählt er. „Das hat sich über die Jahre verändert, die Polizei ist heute durchmischter, genau wie die Gesellschaft.“

Auf uneingeschränktes Wohlwollen stößt die Entwicklung jedoch nicht. „Wir benötigen die besten Kräfte zum Schutz unserer Sicherheit und nicht eine politikgemachte Quote für Migranten“, sagt Markus Wagner, Fraktionsvorsitzender der AfD im NRW-Landtag. Grundsätzlich sei es positiv, wenn sich Menschen für den Polizeiberuf interessieren, sagt Wagner. Er befürchte jedoch eine „Absenkung der Anfordernisse an Polizeibewerber“ und „eine willkürliche Quotenerfüllung auf Kosten der Qualität.“

Eine Quote ist nicht geplant

Aktuell gibt es eine solche Quote nicht, laut Innenministerium ist sie auch nicht geplant. Auch beim LAFP tritt man diesen Befürchtungen entgegen. Fast 40 Prozent der Bewerber mit nicht-deutschen Wurzeln fiel 2018 durch den PC-Test, der neben der Intelligenz auch die Rechtschreibung prüft. Die Durchfallquote insgesamt lag bei nur 26 Prozent. „Es gibt für Bewerber mit Migrationshintergrund keinerlei Sonderstandards – weder im Bewerbungsverfahren, in der Ausbildung oder später im Polizeidienst“, sagt Sprecher Victor Ocansey.

Faalnazari bewarb sich 2003 erfolgreich und absolvierte die Ausbildung, seit 2006 ist er im Dienst. Im Laufe seiner Karriere hat er zahlreiche Fälle kennengelernt, in denen ihm seine Herkunft half. „Es gibt natürlich Ermittlungsbereiche, da ist es als augenscheinlicher Ausländer einfacher, zu ermitteln.“ Mit seinen schwarzen Haaren, dunklen Augen und dunklerem Teint falle er beispielsweise bei verdeckten Ermittlungen im Clan-Umfeld nicht auf. Außerdem zögen auch etwaige Rassismus-Anschuldigungen bei ihm nicht. „Wenn ich auf einer Demo als Nazi beschimpft werde und dann auf Persisch antworte, sind die Leute meistens baff und kleinlaut“, ähnlich sei es bei Kontrollen oder Festnahmen von Migranten. Von Rechtsradikalen habe er sich schon einiges gefallen lassen müssen, aber „das geht hier rein und da raus“.

Doch wie verbreitet sind Vorbehalte gegenüber Migranten in den eigenen Reihen? Der Vorsitzende der Bundespolizeigewerkschaft, Ernst Walter, gibt jedenfalls zu: „Die Aussagen von Friedrich Merz kann ich definitiv bestätigen“, sagte er im Handelsblatt. „Auch mir bereitet es bereits seit Langem große Sorgen, dass immer mehr Kollegen sich nicht mehr von den etablierten Parteien vertreten fühlen und über Alternativen nachdenken.“ Die AfD in NRW rühmt sich der polizeilichen Hilfestellung: „Ich freue mich über die massive Unterstützung für uns aus den Reihen der Polizei“, sagt NRW-Fraktionschef Wagner.

In Köln will Nawid Faalnazari diese Einschätzung nur bedingt teilen. „Bestimmt gibt es innerhalb der Polizei auch Anhänger der AfD. Genauso wie von allen anderen Parteien“, sagt er. Doch mit seinen südländischen Wurzeln habe er intern nie Probleme gehabt. „Wichtig ist, ob man ein guter Polizist ist. Es spielt keine Rolle, wer da in der Uniform steckt“, sagt Faalnazari. „Menschen aus vielen Nationen in einem Team zu haben, hilft, Missverständnisse zu vermeiden.“

Laut dem Kriminologen Tobias Singelnstein sind Rassismus und rechtsextreme Einstellungen unter Polizisten „noch immer eine Minderheitenposition, die aber deutlich lauter geworden ist“. Er sagt auch: „Die Führung und das Klima in den Dienststellen vor Ort entscheiden, ob Rassismus und Rechtsextremismus toleriert werden und Raum bekommen.“ Für ihn ist es deshalb auch wenig überraschend, dass viele Fälle aus Sachsen stammen. „Die Polizeikultur wird eben auch maßgeblich von der Politik geprägt. In Sachsen agiert die Landesregierung im Umgang mit Rassismus und Rechtsextremismus schon seit der Wiedervereinigung fragwürdig.“

Wenig Probleme in NRW

Im Vergleich ist NRW tatsächlich eines der Bundesländer, in denen rechtsextreme Probleme innerhalb der Polizei nur selten bekannt wurden. Doch es gibt sie, in diesem Jahr bereits zwei. Erst vor zwei Wochen fiel ein Kölner Polizist auf, der volksverhetzende Bilder über sein Handy verschickt haben soll. Kölns Polizeipräsident Uwe Jacob beantragte seine Freistellung. Schon im Mai sorgten Aufkleber der rechtsextremen Identitären Bewegung in einem Duisburger Polizeiwagen für Aufregung.

„Extremismus gleich welcher Form, Fremdenfeindlichkeit sowie Diskriminierungen werden in keiner Weise geduldet. Das ist kein Slogan, sondern gelebte Praxis“, sagt Behördensprecher Ocansey. Er verweist auf Ausbildungsmodule für angehende Polizisten, in denen diese unter anderem diskriminierungsfreies und deeskalierendes Verhalten lernen. Ocansey sagt: „Die Polizei gehört nicht in eine rechtsextreme Ecke.“

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