BND-Affäre In Berlin braut sich etwas zusammen

BERLIN · Die Regierungspressekonferenz findet dreimal in der Woche statt und ist in der Regel eine durchaus blutleere Veranstaltung. Der Sprecher der Bundesregierung ist da, seine Kollegen aus den Ministerien.

 Mann unter Druck: Bundesinnenminister Thomas de Maizière.

Mann unter Druck: Bundesinnenminister Thomas de Maizière.

Foto: dpa

Es werden Termine bekannt gegeben, die Journalisten können alles fragen, was sie auf dem Herzen haben. So viel ist das meist nicht. Die Spezialfragen, die man hätte, möchte man nicht vor der Konkurrenz stellen - lieber wird das privat und telefonisch erledigt.

Nur manchmal ist alles anders. Wenn viel mehr Plätze besetzt sind als gewöhnlich, wenn sich alles an einem Thema verhakt, wenn Nachfragen, Zusatzfragen, Detailfragen kommen, wenn sich der Regierungssprecher windet und die Antworten immer neue Variationen der Sätze "Dazu kann ich nichts sagen" und "Dazu ist bereits alles gesagt" liefern - dann ist dies ein untrügliches Zeichen: Hier braut sich etwas zusammen.

Gestern ist so ein Tag. Ein Tag, an dem die ohnehin schon beachtliche BND-Affäre eine neue Dimension bekommen hat. Dass der US-Geheimdienst NSA - vielleicht sogar mit Erfolg - versucht hat, den BND für Wirtschaftsspionage im amerikanischen Interesse einzuspannen, war schon seit der vergangenen Woche klar. Nun aber steht ein ganz konkreter neuer Vorwurf im Raum. Lüge! Hat das Bundesinnenministerium, nein, hat Thomas de Maizière als der verantwortliche Minister, das Parlament bewusst belogen? Das wäre ein dicker Hund. Es sind schon viele Minister wegen weniger gegangen.

Es geht um die schriftliche Beantwortung zweier parlamentarischer Anfragen der Bundestagsfraktion der Linkspartei. Am 14. April dieses Jahres teilt die Bundesregierung "mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern" folgendes mit: "Nein, es liegen weiterhin keine Erkenntnisse zu angeblicher Wirtschaftsspionage durch die NSA oder anderen US-Diensten in anderen Staaten vor." Bereits im August 2014 hatte eine Antwort an die Linkspartei gelautet: "Der Bundesregierung liegen keine bestätigenden Erkenntnisse vor, dass die durch die NSA erhobenen Daten auch zu Zwecken der Wirtschaftsspionage verwandt werden."

Das sind erstaunliche Sätze. Besonders die Antwort vom April hat es in sich. In der vergangenen Woche war nämlich bekannt geworden, dass der BND im März 2015 die Bundesregierung darüber informiert hatte, dass die NSA den Bundesnachrichtendienst zum Ausspähen europäischer Unternehmen einspannen wollte. Ob erfolgreich oder nicht, ist noch aufzuklären.

Regierungssprecher Steffen Seibert hatte bereits am Donnerstag vergangener Woche einräumen müssen, das Kanzleramt prüfe nun, "ob die Antworten auf die zu diesem Sachverhalt gestellten parlamentarischen Anfragen weiterhin uneingeschränkt Bestand haben". Das klang wie ein Eingeständnis. Zumal inzwischen klar ist, dass das Kanzleramt, dessen Chef zwischen 2005 und 2009 Thomas de Maizière hieß, schon bereits spätestens 2008 von den rechtswidrigen Spähversuchen unterrichtet worden war.

Und nun steht de Maizière im Feuer. Regierungssprecher Seibert lavierte gestern wortreich und inhaltsarm eine Dreiviertelstunde lang bei der entscheidenden Nachfrage, ob de Maizière bei der Beantwortung der Anfrage aus dem Parlament die März-Mitteilung des BND gekannt hat. Der Minister selbst gibt sich kämpferisch. Er sprach von einer "Schieflage", weil er nicht öffentlich zu den öffentlich erhobenen Vorwürfen antworten könne, denn es gehe um als geheim eingestufte Dokumente. Aber die Vorwürfe gegen ihn seien "nicht wahr" und das ergebe sich aus den Dokumenten selbst. Er wolle sich der Aufklärung stellen - im zuständigen Untersuchungsausschuss, auch im Kontrollgremium der Geheimdienste. "Je schneller, je besser."

Es ist nicht so einfach zu sehen, wie sich die Bundesregierung hier ganz ohne Blessuren aus der Affäre ziehen könnte. Die Linkspartei fasste das Dilemma nicht unzutreffend so zusammen: "Wenn Geheimdienstkoordinator und Kanzlerin von den Vorgängen nichts gewusst haben, ist das ein Skandal. Wenn sie davon gewusst haben, genauso."

Dennoch könnte de Maizière den Sturm überstehen. Es ist die Zeit der großen Koalition. Da gelten nicht die üblichen Gesetze der Macht. Die SPD, der traditionelle Gegner, ist nun der Partner. Das führt zu sozialdemokratischer Beißhemmung. Das hat mehrere Gründe. Dankbarkeit ist einer. Allen Ernstes. Bei der SPD weiß man, dass die Union SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann ziemlich schonend behandelt hat, als der im Zusammenhang mit der Edathy-Affäre in schweres Wasser geriet, hatte er sich doch gegen alle Gebote beim BKA-Chef über mögliche Ermittlungen gegen Parteifreund Sebastian Edathy erkundigt. Die ganze Sache hatte den CSU-Minister Hans-Peter Friedrich den Job gekostet, die SPD kam ungeschoren davon.

Aber Dankbarkeit ist eigentlich keine politische Kategorie. Tatsächlich steckt mehr hinter dem moderaten Kurs der SPD. Mehr auch als die schlichte Tatsache, dass die Bürger bislang stets mit erstaunlicher Gleichgültigkeit auf neue Nachrichten über die amerikanische Datensammelwut reagierten, also kaum politischer Gewinn einzustreichen ist. Ja, Thomas de Maizière war Kanzleramtschef wie später Ronald Pofalla.

Beide CDU-Politiker sollten also informiert gewesen sein. Aber vor 2005 hieß der Kanzleramtsminister und Geheimdienst-Kontrolleur - Frank-Walter Steinmeier. Das ist keineswegs so unwichtig. Als nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 der BND und die NSA ein "Memorandum of Agreement" unterschrieben und damit einen Datenaustausch zur Terrorabwehr vereinbarten, wusste er darüber Bescheid. Und er segnete später die Operation "Eikonal" ab - die Abschöpfung des Datenknotenpunktes in Frankfurt. Ihren populärsten Minister will die SPD nicht beschädigen. Man weiß ja nie, was ein weiteres Stochern in diesen modrigen Gewässern noch zu Tage fördert.

Thomas de Maizière ist aber schon beschädigt. Als er von Angela Merkel 2005 zum Kanzleramtsminister gemacht wurde, hatte er eine Aufgabe: Probleme lösen - still, sachlich, effektiv. Er hat geliefert. Der Job lag ihm. Seit er sich aber als Minister versucht, läuft es nicht mehr rund. Er wurde vom Problemlöser zum Problembär.

Im Verteidigungsressort agierte er unglücklich, gerade noch rechtzeitig zog er bei der Aufklärungsdrohne "Euro-Hawk" die Reißleine. Noch heute läuft ihm nach, dass er womöglich frühzeitig von Problemen beim Sturmgewehr G 36 der Bundeswehr gewusst hat.

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