US-Präsident Barack Obama in Berlin In der Hitze der Macht

Berlin · Sie haben sich keine 20 Stunden vorher erst voneinander verabschiedet. Auf ein baldiges Wiedersehen. Da hatten Angela Merkel und Barack Obama beim Treffen der G8 noch nordirischen Golfrasen unter ihren Füßen. Einen Vormittag später begrüßen sich die Bundeskanzlerin und der Präsident der Vereinigten Staaten schon wieder.

Impressionen des Präsidenten-Besuchs in Berlin: Barack Obamas Rede am Nachmittag.

Impressionen des Präsidenten-Besuchs in Berlin: Barack Obamas Rede am Nachmittag.

Foto: dpa

Dieses Mal in Berlin, jene unter den wichtigen Hauptstädten in Europa, die Obama in seinen viereinhalb Jahren seit seinem Amtsantritt im Weißen Haus von offiziellen Besuchen ausgespart hat. Was war deshalb nicht alles geschrieben worden, wie schwierig es um das Verhältnis zwischen Merkel und Obama bestellt sei. Es hake, es sei eisig, die Chemie stimme nicht.

Jetzt lächeln sie. Merkel guckt kurz in Richtung Obama, der legt für eine Sekunde freundschaftlich seine Hand auf ihre Schulter. Merkel und Obama. Das ist gewiss nicht die Geschichte einer Politkumpelei wie sie beispielsweise die "Buddys" Gerhard Schröder und Wladimir Putin zelebriert haben. Merkel und Obama. Das ist die Geschichte einer Arbeitsbeziehung, die sich am Machbaren orientiert und die sich zum Besseren entwickelt hat.

Zwei Kopfmenschen, zwei Pragmatiker der Macht, die es dorthin geschafft, wohin Schicksal, Glück und Lebensweg nur sehr, sehr wenige Menschen bringen. Merkel ist inzwischen die mächtigste Frau der Welt. Und sie hat in diesen Vormittagsstunden den mächtigsten Mann der Welt zu Gast: US-Präsident Obama. Ihre mittlerweile aufgeräumte Arbeitsbeziehung ist auch in diesen 47 Minuten ihres gemeinsamen öffentlichen Auftritts im Bundeskanzleramt zu beobachten. Sie sind politische Partner, keine Freunde. Sie sind, jawohl, inzwischen beim Du. Sie wissen, was sie voneinander erwarten können. Merkel erwartet in der Politik ohnehin keine Wunder.

So lobt Obama erst einmal den warmherzigen Empfang in Deutschland, das er bereits 2009 beim Nato-Gipfel in Kehl und Straßburg besucht hatte. Da war er schon Präsident. Ein Jahr zuvor hatte es Obama bis an die Siegessäule nach Berlin geschafft. Da war er noch Präsidentschaftskandidat der US-Demokraten. Die Warmherzigkeit in Deutschland jedenfalls ist größer als der Gast aus Washington erwartet, spielt Obama auf den perfekten Sonnentag mit gnadenlosen 34 Grad an. Es ist gewissermaßen die Hitze der Macht.

[kein Linktext vorhanden]Dieser Tag hatte für Obama morgens beim ersten Mann im Staate begonnen. Bundespräsident Joachim Gauck empfängt den US-Präsident in Schloss Bellevue, wo Obama natürlich mit der Hand auf dem Herz die US-Hymne abnimmt. Später am Tag wird Obama noch den Kanzlerkandidaten der SPD, Peer Steinbrück, treffen. Obama kann sich erinnern, als er selbst Kandidat war. Obama hat es geschafft. Steinbrück muss es noch schaffen. Das ist der Unterschied.

Nach Bellevue geht es ins Kanzleramt. Dort wirft die Arbeitsbeziehung Merkel/Obama den Motor an, geht die verabredeten Themen durch: transatlantisches Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, Ärger wegen des US-Spionageprogamms "PRISM", bei dem der US-Nachrichtendienst NSA auch deutsche Internetnutzer abgeschöpft hat. Und dann natürlich die Problem- und Krisenherde Nahost, Afghanistan, Iran und Syrien. Natürlich ist Merkel von der Internetspionage der NSA auch bei deutschen Nutzern nicht begeistert.

Obama will es erklären. Es gehe um die Verhältnismäßigkeit von Schutz und Aufklärung. Dafür gebe es in den USA strenge Regeln. So könnten US-Aufklärer verfolgen, wenn eine verdächtige Telefonnummer wie beispielsweise auf dem Grundstück Osama bin Ladens in Pakistans angerufen worden sei. Dieses Programm helfe Leben schützen und habe auch die so genannte "Sauerland-Gruppe" enttarnt, die 2007 in Deutschland einen Terroranschlag geplant hatte. Auch dass die USA ihren Drohnenkrieg unter anderem von US-Militärbasen in Deutschland führe, stimme einfach nicht. Und bitte, eines seiner ersten Ziele verfolge er unverändert: "Ich will weiter Guantánamo schließen." Man werde entsprechende Anstrengungen verdoppeln.

[kein Linktext vorhanden]Dann die große Rede des US-Präsidenten. Merkel und Obama gehen durch das Brandenburger Tor - von der West- auf die Ostseite. Noch 2008 hatte Merkel den Auftritt des Präsidentschaftskandidaten Obama am Brandenburger Tor gestoppt. Jetzt sagt Merkel: "Ich heiße Dich willkommen - bei Freunden." Der US-Präsident nutzt das gleich aus: "Unter Freunden" müsse es erlaubt sein, auf die Kleidungsetikette nicht so sehr achtzugeben.

Spricht's und entledigt sich seines Jacketts. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, der bei der Begrüßung gnadenlos ausgepfiffen wurde, tut es ihm nach. Etwa 4000 geladene Gäste sind auf dem Pariser Platz. Unter ihnen viele Deutsch-Amerikaner, auch Schüler. Das halbe Bundeskabinett ist anwesend.

Obamas Entourage hatte Kommunikationsfehler gegenüber Berlin eingestanden. Diese Phase wolle und solle der Präsident mit seiner Rede - geschützt hinter einer mannshohen schusssicheren Glaswand - vergessen machen. Es gelte, den Blick auf die Zukunft zu richten. "Gerechtigkeit und Frieden" seien für ihn die zentralen Leitlinien seiner Innen- wie Außenpolitik. Jetzt, da die Staaten "aus dem Tal der Wirtschaftskrise" kämen, müsse der Kampf gegen die "soziale Ungleichheit" im Vordergrund stehen.

Obama nutzt die Bühne des Brandenburger Tores, immerhin einmal ein Symbol des Kalten Krieges, um einen neuen atomaren Abrüstungsvorschlag zu unterbreiten. Bis zu einem Drittel soll die Zahl der einsatzfähigen Sprengköpfe der USA abgebaut werden, mit Russland will er über Abrüstungsschritte verhandeln.

[kein Linktext vorhanden]Auch die Zahl der taktischen Sprengköpfe, die in Europa stationiert sind, soll verringert werden. Außenminister Guido Westerwelle, der sich seit langem gegen die Lagerung auf europäischem Territorium ausgesprochen hatte, freute sich deutlich erkennbar über diesen Vorstoß.

Aber es ist nicht so, dass die Abrüstungsvorschläge einen zentralen Schwerpunkt seiner 30-minütigen Rede bildet. Im Gegenteil: Er rattert die neuen US-Vorschläge herunter, so als ob er selbst nicht an eine mittelfristige Verwirklichung der Pläne glauben würde. Der Präsident: "Wir leben nicht mehr in der Furcht vor einer globalen Vernichtung." Und er fügt hinzu: "Aber wir sind nicht wirklich sicher." Das Ziel sei eine Welt ohne Atomwaffen, unabhängig von der Frage, "wie weit sich dieser Traum in der Zukunft bewegen mag".

Am Ende stehende, aber keine überwältigenden Ovationen. Der Präsident verzichtet aber auf das bei ihm sonst zum Ritual gehörenden Händeschütteln mit den mehr oder minder prominenten Gästen. Die wichtigsten sieht er am Abend wieder im Charlottenburger Schloss. In der gut klimatisierten Orangerie hatte die Bundeskanzlerin zu einem Gala-Abendessen geladen.

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