11. Integrationsgipfel im Bundeskanzleramt „Integration ist nicht eine Ein-Generation-Sache“

Berlin · Der elfte Integrationsgipfel im Kanzleramt steht unter dem Eindruck der rechtsextremen Anschläge von Hanau. Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Staatsministerin im Kanzleramt haben mit Vertreterinnen und Vertretern von Migrantenorganisationen über Integration gesprochen.

 Verstehen sich: Angela Merkel und Sylvie Nantcha.

Verstehen sich: Angela Merkel und Sylvie Nantcha.

Foto: AP/Markus Schreiber

Hanau kann überall sein. Zu jeder Zeit. Angela Merkel weiß das. Und alle auf dem Podium wissen das auch. Gut fünf Stunden haben die Bundeskanzlerin und die Staatsministerin im Kanzleramt, Annette Widmann-Mauz, gerade mit Vertreterinnen und Vertretern von Migrantenorganisationen über Integration gesprochen. Die mutmaßlich rassistisch motivierten Morde an neun Menschen mit ausländischen Wurzeln vor zwei Wochen im hessischen Hanau haben auch diesen elften Integrationsgipfel beschäftigt. Bundesinnenminister Horst Seehofer, der Migration 2018 noch als „Mutter aller Probleme“ bezeichnet hatte, ist mit dabei.

Die Kanzlerin verweist auf Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Nach den Morden von Hanau habe man feststellen müssen, dass es Gruppen in der Gesellschaft gebe, die sich gegenwärtig in Deutschland nicht sicher fühlten. Aber Deutschland sei ein Land der Vielfalt. „Die Sicherheit aller Menschen in Deutschland zu gewährleisten, ist unsere oberste Aufgabe“, hatte Merkel vor dem Gipfel betont. Es gibt viel zu tun.

Zurückliegende Anschläge in Solingen, Mölln und Hoyerswerda, ebenso die Morde des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU), der Terror im Olympiaeinkaufszentrum in München und zuletzt in Hanau haben Migranten stark beunruhigt. Der Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus sei „tiefstes Anliegen“ der Bundesregierung. Wenn Merkel an Hanau denkt: „Einfach schrecklich. Es ist Rechtsextremismus.“ Am Mittwochabend ist Merkel in Hanau – bei der Trauerfeier für die Opfer der Gewalttat.

Direkt neben der Kanzlerin sitzt Sylvie Nantcha, Vorsitzende von „The African Network of Germany“. Die Frau mit Wurzeln in Kamerun sagt zu den Morden von Hanau: „Wir sind entsetzt. Wir fragen uns, ob wir in diesem Land, in unserem Land, in unserem Deutschland noch sicher sind.“ Die Gesellschaft in Deutschland habe ein Problem: „Rassismus“. Und so freut sich Nantcha mit vielen anderen Migranten, dass die Bundesregierung nun einen Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus und Rassismus einsetzen will. Auch die migrationspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Filiz Polat, erklärt sich an anderer Stelle überzeugt: „Deutschland hat ein Rassismusproblem, und das nicht erst seit Hanau.“ Merkel ist dann beim Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das seit 1. März in Kraft ist.

Deutschland brauche die Zuwanderung von Fachkräften. Aber anders als in den 1960er Jahren kämen keine „Gastarbeiter“ mehr. Arbeitsminister Hubertus Heil zitiert dazu passend den Schweizer Schriftsteller Max Frisch, der gesagt habe: „Wir wollten Arbeitskräfte, aber es kamen Menschen.“ Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz sei „ein Meilenstein“, so Heil. Aber man müsse nun auch nicht erwarten, „dass die Leute uns die Bude einrennen“.

Deutschland stehe im weltweiten Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte. Auch deshalb müssten Visa durch deutsche Botschaften, die teilweise stark unterbesetzt seien, sehr viel schneller erteilt werden als bislang. Afrika-Netzwerkerin Nantcha berichtet von Wartezeiten von bis zu einem Jahr, nur um einen Termin für einen Visumantrag zu bekommen.

„Ihr und wir“ – diese lange weit verbreitete Haltung im Umgang mit Zuwanderern gelte nicht mehr, so Merkel. „Wir sind eine Gesellschaft.“ Die Zugewanderten und die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Doch die Regierungschefin betont auch: „Integration ist nicht eine Ein-Generation-Sache.“ Integration dauere und beginne im besten Fall bereits vor der Einreise nach Deutschland. Die aus dem Ausland zugewanderten qualifizierten Fachkräfte sollten „sehr schnell ihre neue Heimat auch in Deutschland finden“.

Ein zentrales Thema des Treffens: Die Zuwanderer sollten auf Deutschland vorbereitet sein, bevor sie einwandern, unter anderem durch Deutsch-Kurse oder um Unterschiede bei der beruflichen Qualifikation auszugleichen. Nantcha wie auch die Vorsitzende des Zentralrates der Serben, Dragana Nikolic, berichten von „vielen falschen Erwartungen an Deutschland“ bei potenziellen Einwanderern. Viele wüssten nicht, was Mieten kosten. Und viele seien erstaunt, dass man auch in Deutschland hart arbeiten müsse und es trotzdem sein könne, in einem Land mit vielen Chancen nicht erfolgreich zu sein.

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