Iraks Regierung entgleitet die Macht

Bagdad · Die irakische Regierung verliert zunehmend die Kontrolle über den Westen und Norden des Landes. Kämpfer der sunnitischen Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und Syrien (Isis) nahmen am Dienstag nach mehrtägigen Kämpfen die Millionenstadt Mossul ein.

Die Regierung in Bagdad räumte den Abzug der Armee aus der nördlichen Metropole ein. Ministerpräsident Nuri al-Maliki rief die Bevölkerung zum Widerstand auf. Wer sich freiwillig melde, werde von der Regierung bewaffnet, sagte er.

Isis-Kämpfer kontrollieren seit Jahresbeginn bereits Gebiete der westlichen Provinz Al-Anbar. Dort liefern sie sich immer wieder heftige Gefechte mit Regierungstruppen. Die Gruppe macht sich den langjährigen Machtkampf zwischen sunnitischen und schiitischen Muslimen im Irak zunutze. Die Umgebung von Mossul gehört zu den Hochburgen der Isis.

In einer im Fernsehen ausgestrahlten Ansprache rief al-Maliki das Parlament auf, den Notstand zu verhängen. An seine Landsleute appellierte er, sie sollten sich den "Terroristen" entgegenstellen. Freiwilligen Kämpfern aufseiten der Regierung sagte er Waffen zu.

Al-Maliki bat auch die internationale Gemeinschaft um Hilfe. Von den Vereinten Nationen, der Arabischen Liga und der Europäischen Union verlangte er, den Irak im Kampf gegen den Terror zu unterstützen. Allein am Wochenende waren in dem Land bei einer Serie von Anschlägen mehr als 100 Menschen getötet worden.

Die USA verurteilten die Angriffe auf das Schärfste. Die Zustände in Mossul verschlechterten sich deutlich, sagte US-Präsident Barack Obamas Vize-Sprecher Josh Earnest am Dienstag. "Die Lage ist bitterernst." Die USA würden dem Irak weiter beistehen, doch für einige Herausforderungen gebe es nicht nur militärische Lösungen. Earnest appellierte dabei auch an Ministerpräsident al-Maliki, vermied es aber, die Kämpfe als "Bürgerkrieg" zu bezeichnen.

Isis-Mitglieder hatten am Montagabend damit begonnen, in die Vielvölkerstadt Mossul rund 400 Kilometer nördlich von Bagdad einzurücken. Der Gouverneur der Provinz Nineveh, Athil al-Nudschaifi, sagte dem Nachrichtensender Al-Arabija, er sei selbst nur knapp entkommen, als Milizionäre den Regierungssitz stürmten.

Laut Nachrichtenportal "Sumaria News" drangen die extremistischen Kämpfer auch in Gefängnisse ein und ließen mehr als 1400 Häftlinge frei. Zudem übernahmen sie demnach die Kontrolle über den Flughafen, mehrere Regierungsgebäude sowie zwei Fernsehsender. Zahlreiche Bewohner seien in die Kurdenprovinzen Erbil und Dohuk geflüchtet.

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) flüchteten rund 500 000 der drei Millionen Einwohner aus der Stadt. Viele seien zu Fuß unterwegs, da ihnen verboten worden sei, ihre Fahrzeuge zu benutzen.

In einigen Gebieten nahe der Grenze zu Syrien stießen die islamistischen Milizen auf die Gegenwehr kurdischer Brigaden, wie ein Kommandeur der Kurden der Nachrichtenagentur dpa sagte. Auch in Syrien liefert sich Isis regelmäßig Gefechte mit kurdischen Kämpfern. Die Führung der kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak warf der Zentralregierung Versagen vor. Ministerpräsident Nechirvan Barsani erklärte, Bagdad habe eine Zusammenarbeit von Armee mit den kurdischen Streitkräften verweigert.

Beobachter gehen davon aus, dass mehr als 3000 Isis-Kämpfer in der Region Mossul aktiv sind. Die Gruppe gehört zu den radikalsten Sunnitengruppen, die im arabischen Raum einen Gottesstaat errichten wollen.

Die Sunniten, die zu Zeiten des Diktators Saddam Hussein gute Aussichten auf Karrieren in Staat und Armee hatten, fühlen sich von der schiitisch dominierten Regierung diskriminiert. Bei den daraus resultierenden Unruhen waren nach UN-Angaben allein 2013 im Irak knapp 8900 Menschen getötet worden. Viele Opfer sind Schiiten.

Zugleich gibt es in dem Land noch keine neu legitimierte Führung. Ende April hatte zwar das Bündnis des Schiiten al-Maliki die Parlamentswahl gewonnen. Der wegen seines autoritären Führungsstils umstrittene Regierungschef sucht jedoch noch nach Koalitionspartnern.

Der Syrienkonflikt sorgt für weiteren Zündstoff. Milizen wie die Isis finden in den syrischen Nordprovinzen einen Rückzugsort und Waffen. Mit die Eroberung der irakischen Stadt Falludscha Anfang 2014 fielen den Extremisten auch Waffen der Regierungstruppen in die Hände.

Mossul zählt zu größten Städten des Iraks und ist wichtigster Verkehrsknotenpunkt im Norden des Landes. Dort leben neben sunnitischen Arabern auch Kurden, assyrische Christen und Turkmenen. Die Ölfelder der Region zählen zu den wichtigsten im Irak.

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