Israel will Offensive ausweiten: Kein Ende des zivilen Leids

Gaza/Tel Aviv/New York · Im unerbittlich geführten Krieg zwischen Israel und militanten Palästinensern leidet die Bevölkerung im Gazastreifen immer größere Not.

 Ein palästinensischer Junge steht in Gaza-Stadt auf einer Straße, hinter ihm ein ausgebranntes Fahrzeug, dass bei einem israelischen Angriff getroffen wurde. Foto: Mohammed Saber

Ein palästinensischer Junge steht in Gaza-Stadt auf einer Straße, hinter ihm ein ausgebranntes Fahrzeug, dass bei einem israelischen Angriff getroffen wurde. Foto: Mohammed Saber

Foto: DPA

Die UN-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos und der Leiter des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA), Pierre Krähenbühl, berichteten am Donnerstag dem Weltsicherheitsrat über die katastrophale Lage der Zivilbevölkerung nach mehr als drei Wochen kriegerischer Auseinandersetzungen. Trotz steigender Opferzahlen auf beiden Seiten sowie massiver Zerstörung im Gazastreifen ist eine Waffenruhe nicht in Sicht.

Amos forderte eine tägliche Feuerpause, um den notleidenden Menschen zu helfen. "Wir brauchen jeden Tag eine Waffenruhe, die verlässlich ist. Dann können unsere Helfer die Menschen versorgen, Verwundeten kann geholfen und Tote können beerdigt werden", sagte sie. "Wir rufen beide Seiten auf, solch einen täglichen Waffenstillstand zu vereinbaren."

Krähenbühl, der per Telefon aus Gaza zugeschaltet war, beschrieb das Leid plastisch und aus eigener Anschauung: "Ich sah grauenhafte Wunden in der Kinderabteilung eines Krankenhauses. Das sind die inakzeptablen Folgen eines Konflikts, der sofort gestoppt werden muss."

Die Menschen in Gaza fühlen sich nach den Worten von Krähenbühl verlassen. "220 000 Menschen sind unter unserem Schutz, und es werden jeden Tag mehr. Es sind jetzt schon viermal so viel wie während der Kämpfe 2008 und 2009." Er bestätigte, dass in drei leerstehenden UNRWA-Einrichtungen Raketen gefunden worden seien. "Wir verurteilen das und haben sofort alle Seiten informiert. Wir dulden keinerlei Waffen in unseren Einrichtungen."

Die israelische Militäroffensive fordert indes immer mehr Opfer. Nach Angaben des Sprechers des palästinensischen Gesundheitsministeriums, Aschraf al-Kidra, stieg die Zahl der Toten bis zum Abend auf mehr als 1400. Etwa 8000 Menschen wurden demnach in Gaza seit dem Beginn der Kämpfe am 8. Juli verletzt.

Beim Beschuss eines Flüchtlingscamps und neuen israelischen Luftangriffen im Süden des Gazastreifens kamen nach palästinensischen Angaben vom Abend mindestens sechs Menschen ums Leben, darunter ein Kind und eine Frau. 15 Menschen seien verletzt worden.

Das Büro des Korrespondenten der Nachrichtenagentur dpa im Gazastreifen wurde von einem Geschoss getroffen und schwer beschädigt. In dem Gebäude im Zentrum der Stadt Gaza seien mehrere palästinensische Medien untergebracht, sagte Korrespondent Saud Abu Ramadan. Weil das Büro zum Zeitpunkt des Angriffs leer war, wurde niemand verletzt. Das israelische Militär prüft den Vorfall.

Die israelische Armee plant, ihre Offensive noch auszuweiten. Wie der Rundfunk meldete, hat das Militär 16 000 weitere Reservisten mobilisiert. Damit beläuft sich die Zahl der einberufenen Reservisten auf insgesamt 86 000.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte am Donnerstag, Vorschläge für eine Waffenruhe seien nur akzeptabel, wenn Israel weiter Tunnelanlagen im Gazastreifen zerstören könne. Die Armee habe bereits Dutzende "Terror-Tunnel" zerstört, sagte er vor einer Regierungssitzung in Tel Aviv. "Dies ist nur die erste Phase einer Entmilitarisierung des Gazastreifens", fügte Netanjahu hinzu. "Die Armee ist weiter mit voller Macht im Einsatz."

Auch die im Gazastreifen herrschende Hamas lehnt eine Waffenruhe ab. Ihre Kämpfer feuerten erneut mehr als 50 Raketen auf israelische Ortschaften ab, wie eine israelische Militärsprecherin bestätigte.

Auf israelischer Seite sind nach Armeeangaben bisher 56 Soldaten und drei Zivilisten ums Leben gekommen. Mehr als 100 Soldaten liegen noch in Krankenhäusern. Die israelische Hilfsorganisation Magen David Adom teilte mit, bisher seien rund 600 Zivilisten wegen Verletzungen und Schockzuständen behandelt worden.

Angesichts der steigenden Totenzahlen und der verheerenden Zerstörungen erklärte Palästinenserpräsident Mahmud Abbas den Gazastreifen zum "humanitären Katastrophengebiet". Er forderte die Vereinten Nationen auf, alles zu unternehmen, um den Menschen zu helfen.

Die UN und die USA kritisierten den Beschuss einer UN-Schule im Gazastreifen scharf. Israel sei der Standort der Einrichtung mehrfach mitgeteilt worden, letztmals wenige Stunden vor dem Treffer, sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bei einem Besuch in Costa Rica. "Ich verurteile diesen Angriff auf das Schärfste. Er ist durch nichts zu rechtfertigen." Ban und die USA kritisierten zugleich auch die Lagerung von Waffen in UN-Einrichtungen.

Eine Sprecherin der israelischen Armee sagte zu dem Vorfall, militante Palästinenser hätten in der Nähe der Schule Mörsergranaten auf israelische Soldaten abgefeuert. Die Truppen hätten das Feuer erwidert. Es ist die zweite Schule, die binnen einer Woche getroffen wurde.

Israel begründet die längste Offensive seit dem Libanon-Krieg 2006 mit dem anhaltenden Raketenbeschuss sowie sogenannten Terror-Tunnel, durch die militante Palästinenser auf israelischen Boden gelangen können, um Anschläge zu verüben oder Menschen zu entführen. Nach Angaben der Armee sind seit Beginn der Offensive rund 2700 Raketen auf Israel abgeschossen worden.

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