Flüchtlingsdrama vor Lampedusa Italien kündigt eine militärische Hilfsaktion an

ROM · Es sind unvorstellbare Geschichten, die sich auf dem Mittelmeer abspielen. Inzwischen beinahe jeden Tag. Denn weiterhin versuchen Hunderte Flüchtlinge die italienische Küste zu erreichen. Allein fünf Boote seien am Samstag vor Lampedusa aus Seenot gerettet worden, berichtete die italienische Nachrichtenagentur Ansa.

Die Anzahl der Toten steigt weiter. Bislang 35 Menschenleben kostete das Unglück am Freitag, als ein vollbesetztes Flüchtlingsboot 60 Meilen vor Lampedusa kenterte, 206 Flüchtlinge konnten geborgen werden. Wie viele Menschen starben, darüber gibt es keine verlässlichen Angaben. Überlebende berichten, mehr als 400 Menschen hätten sich auf dem Kutter befunden.

Erst am 3. Oktober war ein Flüchtlingsschiff mit über 500 Menschen vor Lampedusa gekentert. 362 Opfer wurden bis gestern gezählt.Italiens Ministerpräsident Enrico Letta kündigte eine militärische Hilfsaktion im Mittelmeer an. Dreimal so viele Schiffe und Flugzeuge wie bisher sollen ab heute die Routen überwachen, auf denen die Flüchtlinge versuchen, Italien zu erreichen.

Die Überfahrten sollen so sicherer gemacht werden. "Das Mittelmeer gleicht derzeit einem Grab", sagte Letta. Am Samstag wurden die ersten 150 Särge der Tragödie von vor einer Woche in den sizilianischen Hafen von Porto Empedocle gebracht. Der Transport verzögerte sich, weil die Überlebenden die Körper ihrer Angehörigen identifizieren wollten.

Psychologen und Helfer auf Lampedusa berichten von schockierenden Geschichten, die ihnen Überlebende anvertraut haben. Etwa diese: Ein Neugeborenes war auf dem Schiff, das am vergangenen Freitag kenterte. Seine Mutter hatte es auf der Überfahrt von Libyen zur Welt gebracht. Als das Schiff kenterte, ertranken beide.

[kein Linktext vorhanden]Oder die Geschichte eines 30-jährigen Syrers, der die Überfahrt am Freitag überlebte. Er war mit seinen zwei Kindern, seiner Frau, zwei Brüdern, der Mutter und seinem Onkel auf dem Boot. Als er gerettet auf Lampedusa ankam, habe er an ein "Gespenst" erinnert, sagen die Helfer.

In Tränen laufe er von einem Raum des Auffanglagers in den nächsten, rufe die Namen seiner Kinder, seiner Frau und seiner Brüder. Seinen Kopf schlage er gegen die Wand. Er brülle und frage sich, warum nur er überlebt hat. Von den 35 Toten des Unglücks vom Freitag sind mindestens acht Kinder, im Alter von wenigen Monaten bis zu einem Jahr. Auch ein dreijähriger Junge kam ums Leben.

Sein Vater erzählte Ärzten später die dramatische Geschichte des Unglücks. Er war mit seiner Frau, der neun Monate alten Tochter und dem Sohn aus Syrien geflohen. Über Libyen wollte die Familie Italien erreichen. Das Schiff kenterte 60 Meilen vor Lampedusa. Die Flüchtlinge wollten sich einem maltesischen Flugzeug erkennbar machen.

Als das Boot kenterte, habe der Vater seine kleine Tochter ergreifen können. Er habe sie sich auf den Bauch gesetzt und sei auf dem Rücken geschwommen. Im Wasser habe die Mutter nach ihrem Sohn Ausschau gehalten und in einigen Metern Entfernung dessen leblosen Körper entdeckt. Die Mutter, inzwischen auf Lampedusa, spreche kaum ein Wort, berichten Helfer. Sie antworte auch ihrem Mann kaum, wiege ihre kleine Tochter in den Armen und starre ins Leere.

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