„Gesellschaftliche Courage fördern“ Justizministerin Barley will Hasskriminalität im Netz weiter bekämpfen

Berlin · Sie beobachtet eine gefährliche Stimmung in Deutschland: Hasskriminalität im Netz sei weiterhin ein Problem, auch wenn es positive Entwicklungen gebe, sagt Bundesjustizministerin Katarina Barley. Mir ihr sprach Jan Drebes.

 Katarina Barley (SPD), Bundesjustizministerin.

Katarina Barley (SPD), Bundesjustizministerin.

Foto: picture alliance/dpa

Katarina Barley: Menschen mit Regierungsverantwortung müssen der Versuchung widerstehen, aus einer aufgeheizten Stimmung politisches Kapital schlagen zu wollen. Wir haben einen sehr stabilen Rechtsstaat. Dieser definiert Regeln, an die sich alle halten müssen. Sie gewährleisten Freiheit und Schutz. Wenn politisch Verantwortliche Misstrauen in den Rechtsstaat oder in fundamental wichtige Errungenschaften wie die freie Presse säen, befeuern sie damit eine gefährliche Stimmung, die sich in Teilen unserer Gesellschaft bereits verfestigt hat.

Maßgeblich betrieben wird das auch vom US-Präsidenten. Ist unter deutschen Demokraten schon etwas in Schieflage geraten?

Barley: Zumindest beobachte ich immer wieder, dass selbst Vertreter demokratischer Parteien Begriffe übernehmen, die früher nur von der äußerten Rechten benutzt wurden. Das ist fatal, denn es vergiftet das gesellschaftliche Klima. Gleichzeitig wird das Engagement von Menschen für unsere Gesellschaft immer öfter schlecht geredet und kleingemacht.

Haben Sie ein Beispiel?

Barley: Ein Beispiel ist der Begriff „Gutmensch“. Die Anhänger von AfD und Co. stellen damit Menschen, die in guter Absicht handeln, als naiv oder doof hin. Das ist perfide und gefährlich für den Zusammenhalt. Ich bin entsetzt darüber, wer alles diesen Begriff kritiklos übernimmt. Menschen sind keine Ansammlung von Schafen und Wölfen, so wie es die AfD einem gerne weismachen will. Da sollten wir die Errungenschaften der Zivilisation nicht aufgeben.

Sollte politische Bildung auch nach der Schule noch greifen, etwa bei der beruflichen Weiterbildung?

Barley: Ja, politische Bildung ist wichtig – auch nach der Schule. Ganz grundsätzlich muss es darum gehen, gesellschaftliche Courage zu fördern. Die dafür nötige Haltung kann der Staat nicht verordnen oder die Verantwortung an Unternehmen und die Medien delegieren. Aber der und die Einzelne kann den Mund aufmachen. Der Satz, „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ ist oft die Rechtfertigung für rassistische, judenfeindliche oder andere menschenfeindliche Äußerungen. Wenn das der Fall ist, liegt es an uns allen, etwas zu sagen. Ich bin alarmiert, dass das immer weniger selbstverständlich ist.

Ist eigentlich das Löschen von Hasskommentaren im Netz schneller geworden?

Barley: Hasskriminalität im Netz ist nach wie vor ein Problem. Wir sehen aber eine durchaus positive Entwicklung. Die Betreiber der Sozialen Netzwerke nehmen ihre Verantwortung für die Inhalte auf ihren Seiten deutlich stärker wahr als noch vor ein paar Jahren. Wir haben Facebook, Google und Co. klare Regeln aufgegeben. Jetzt schauen wir uns an, wie sich das entwickelt. Wenn sich herausstellt, dass wir Regeln ändern müssen, dann werden wir das auch tun. Hass darf keinen Platz in unserer Gesellschaft haben.

Wann würde das greifen?

Barley: Wir werden die bestehenden Regeln in spätestens zwei Jahren evaluieren. Dann wissen wir, ob weiterer Handlungsbedarf besteht.

Viel Kritik ernten Sie für Ihren Vorstoß bei der Mietpreisbremse. Manche befürchten, dass wichtige Modernisierungen ausbleiben könnten, wenn die Vermieter künftig die Kosten nicht mehr so stark auf die Mieter umlegen können.

Barley: Nein, diese Befürchtungen sind unbegründet. Wir werden die Möglichkeit, Modernisierungskosten auf die Mieter umzulegen, auf einem niedrigeren Niveau deckeln – das ist für die Vermieter aber zu verkraften. In Zeiten niedriger Zinsen ist eine Deckelung auf acht Prozent immer noch eine gute Rendite. Gleichzeitig erleichtern wir ihnen ja auch, kleinere Modernisierungen einfacher durchzuführen. Besonders wichtig ist mir, mit der perfiden Praxis Schluss zu machen, bei der Vermieter alteingesessene Mieter durch angedrohte Modernisierungen aus ihrem Zuhause vertreiben. Wer das macht, wird künftig mit einer Strafe von bis zu 100 000 Euro rechnen müssen. Das tut schon weh.

Warum gab es das nicht schon in der vergangenen Legislaturperiode?

Barley: Wir mussten in den Koalitionsverhandlungen hart dafür kämpfen und haben uns gegen die Union durchgesetzt. Wir brauchen mehr Mieterschutz und dürfen nicht zulassen, dass irgendwelche Interessengruppen wirksame Regelungen verwässern.

Wie praxistauglich ist die geplante Auskunftspflicht des Vermieters zur Höhe der Vormiete? Das ließe sich doch sehr leicht umgehen in angespannten Mietmärkten.

Barley: Bisher halten die Vermieter alle Trümpfe in der Hand, und wer eine Wohnung haben möchte muss sich komplett nackig machen – mit persönlichen Auskünften, Bürgschaften und so weiter. Wir stärken jetzt den Transparenzanspruch der Mieter. Künftig reicht es, wenn der Mieter sagt, dass der Vermieter zu viel Miete nimmt. Weitere Nachweise muss er für eine Rüge nicht vorbringen. Es liegt am Vermieter, zu begründen, warum die Miete so hoch ist. Das ist ein scharfes Schwert, das auch nach Vertragsabschluss noch scharf bleibt.

Ihre Parteichefin und der Finanzminister haben eine Rentendebatte angestoßen. Stoßen Sie den vielen jungen Neumitgliedern damit nicht vor den Kopf ?

Barley: Nein. Es ist wichtig, dass wir mit offenem Visier über das Thema Rente diskutieren. Finanzielle Sicherheit nach dem Berufsleben geht doch alle an – egal in welchem Alter. Deswegen dürfen wir bei der Rentendebatte auch nicht die Generationen gegeneinander ausspielen. Auch junge Menschen haben ein Interesse, dass unser Rentensystem stabil bleibt.

Wie teuer wird das für junge Beitragszahler?

Barley: Prognosen über einen solche langen Zeitraum sind immer schwierig, weil man nicht alle Entwicklungen vorhersehen kann. Beispielsweise die Zuwanderung nach Deutschland birgt für unsere älter werdende Gesellschaft enorme Chancen. Wir brauchen ein gut gemachtes Einwanderungsgesetz, um gezielt jüngere Fachkräfte nach Deutschland zu holen. Das entspannt auch das Verhältnis von Beitragszahlern und Rentnern. Ich bin froh, dass die Union unserem Drängen bei diesem Thema endlich nachgegeben hat. Das war ein zäher Kampf.

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