Steinbrücks Stinkefinger "Klartext" ohne Worte

Berlin · Ist das sinnvoll eine Woche vor der Wahl? SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück zeigt auf einem Foto den "Stinkefinger". Darin kulminiert letztlich eine Frage: Wie viel Direktheit und Ironie verträgt dieser Wahlkampf?

Vielleicht ist das ein bisschen viel "Klartext" so kurz vor einer Bundestagswahl. Vom Titel des Magazins der "Süddeutschen Zeitung" grüßt an diesem Freitag hunderttausende Leser ein Peer Steinbrück, der den "Stinkefinger zeigt. In Sachen maximale Aufmerksamkeit dürfte er damit einen Volltreffer gelandet haben.

Im beliebten Ohne-Worte-Interview des Magazins, wo spielerisch mit Gestik und Mimik geantwortet wird, soll der SPD-Kanzlerkandidat auf folgende Frage antworten: "Pannen-Peer, Problem-Peer, Peerlusconi - um nette Spitznamen müssen Sie sich keine Sorgen machen, oder?". Steinbrück schaut etwas finster rein: Der Mund offen, die Arme verschränkt, den Mittelfinger der rechten Hand gen Kamera gestreckt. Just zu einem Zeitpunkt, wo die Häme über ihn weg war, spätestens seit dem TV-Duell.

Immer wieder hat er sich geärgert, wie Medien über ihn berichten - habe das Land keine wichtigeren Probleme als sich über vermeintliche Fehltritte von ihm zu echauffieren? Bisher ist der "Stinkefinger" von Stefan Effenberg Richtung deutsche Fans bei der Fußball-WM 1994 besonders in Erinnerung - Steinbrück spielt nun in dieser Liga mit. Sein Sprecher wollte das Bild in Erwartung der möglichen Aufwallung nicht freigeben. Steinbrück antwortete nur: "Nein, das ist okay so".

Nun gibt es zwei Denkrichtungen: Steinbrück inszeniert sich als ein Rock'n'Roller der Politik, selbst sagte er erst kürzlich: "Bei mir rockt es". SPD-Chef Sigmar Gabriel nannte ihn eine "coole Sau". Sozusagen das Gegenstück zu Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die ihre zur Raute geformten Hände zum Markenzeichen erkoren hat. Deutschlands größtes Wahlplakat (2378 Quadratmeter) am Berliner Hauptbahnhof zeigt die Merkel-Raute - dieses Bild steht nun gegen den "Stinkefinger".

Das Bild ist ohne Zweifel ironisch gemeint - der Umgang mit dem 66-Jährigen wirft sicher auch die Frage auf: wie viel Augenzwinkern vertragen Politik und Öffentlichkeit? Gerade, wo sich immer wieder über gestanzte und stromlinienförmige Worte mokiert wird. Für den politischen Gegner ist es natürlich ein willkommener Anlass, an seinen Qualitäten zu zweifeln. "Die Geste verbietet sich als Kanzlerkandidat. So etwas geht nicht", meint FDP-Chef Philipp Rösler.

Steinbrück hat diesem Wahlkampf seinen Stempel aufgedrückt, am 16. Juni kulminierte der ganze Druck beim Parteikonvent nach berührenden Schilderungen seiner Frau ("Und dann wird er nur noch verhauen") darin, dass ihm Tränen in die Augen stiegen. Er ist halt eine Marke.

An der SPD-Basis dürfte der Fingerzeig Richtung Medien auf Zustimmung stoßen - immer wieder wurde er bei Veranstaltungen aufgefordert, doch mal mehr klare Kante gegen "diese Berliner Edelfedern" zu zeigen. Aber die Geste hat es in sich, Wähler könnten abgeschreckt werden. Seine persönlichen Werte hatten nach dem TV-Duell zugelegt, die Botschaften kommen langsam an - und Steinbrück konnte die Kanzlerin etwa beim Thema Pkw-Maut in die Enge treiben.

Er hätte gerne mehr solcher Duelle - doch sie weicht ihm aus. Die "kognitive Dissonanz" sei durch das TV-Duell aufgelöst worden, sagt ein Mitglied aus Steinbrücks Kompetenzteam. Will heißen: Die 17,6 Millionen TV-Zuschauer hätten sich überzeugen können, dass viele der bisherigen Medienzuschreibungen gar nicht auf Steinbrück passten. Doch sollte er es irgendwie doch noch ins Kanzleramt schaffen - dieses Bild dürfte dann gegen Steinbrück verwendet werden. Es könnte zum Beispiel gut das Bild von ihm in der Schweiz illustrieren, der er als Bundesfinanzminister etwas großspurig mit der Kavallerie drohte

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