Urteil gegen Nawalny Kremlgegner vorübergehend wieder in Freiheit

Moskau · Nach spontanen Protesten und scharfer internationaler Kritik an der russischen Justiz ist der Kremlkritiker Alexej Nawalny vorläufig wieder auf freiem Fuß.

Unter Auflagen setzte das Gebietsgericht in der Stadt Kirow die Untersuchungshaft am Freitag nach nur 22 Stunden aus, damit der 37-Jährige an der Bürgermeisterwahl in Moskau am 8. September teilnehmen kann. Der Sprecher von Kremlchef Wladimir Putin nannte das Vorgehen der Justiz verfassungsgemäß. Juristen und Menschenrechtler sprachen hingegen von einer bisher nie dagewesenen Gerichtsentscheidung in Russland.

Der scharfe Gegner von Kremlchef Wladimir Putin war am Vortag zu fünf Jahren Straflager wegen Veruntreuung verurteilt worden, weil er 2009 als Berater eine staatliche Holzfirma betrogen haben soll. Dabei soll ein Schaden von 400 000 Euro entstanden sein.

Nawalny, der den Richterspruch in einem Glaskasten hörte, zeigte sich erleichtert. Allerdings erhielt er die Auflage, Moskau nicht zu verlassen. Dort sollte er am Samstagmorgen mit dem Zug ankommen. Putin sei über den Fall informiert, mische sich aber nicht ein, sagte sein Sprecher Dmitri Peskow.

Die Bundesregierung hatte das Verfahren gegen Nawalny als "Schauprozess" kritisiert. Auch die USA protestierten gegen Justizwillkür. Eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton kündigte an, den Fall weiter genau zu verfolgen. "Gerichtsentscheidungen müssen befolgt werden", sagte hingegen Peskow in der ersten Reaktion des Kreml zu dem umstrittenen Urteil.

Das Gericht in Kirow stellte bei der Prüfung der Haftbeschwerde das eigentliche Urteil nicht infrage. Die Sitzung aus dem Gerichtssaal wurde erneut von der offiziellen Agentur rapsinews.ru im Internet live übertragen.

Nawalny hat sich vor allem als Kämpfer gegen Korruption einen Namen gemacht. Der landesweit bekannte Blogger und Internet-Aktivist ist ein scharfer Kritiker von Vetternwirtschaft und undurchsichtigen Geschäften in Staatsbetrieben.

Der Familienvater sei zwar in Freiheit, aber das rechtliche Problem nicht gelöst, sagte der Moskauer Leiter der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, Sergej Nikitin. "Das Urteil sollte aufgehoben werden", meinte er. Der Präsident der Anwaltskammer, Genri Resnik, bezeichnete die Wende vor Gericht als "endgültige Entlarvung einer Inszenierung". Der Menschenrechtsrat des Kreml forderte eine unabhängige Untersuchung des Falls.

"Danke allen Leuten, die auf die Straße gegangen sind, ohne sie wäre das hier nicht möglich gewesen", sagte Nawalny in Kirow, 900 Kilometer nordöstlich von Moskau. Was nun vor Gericht passiert sei, beweise einmal mehr die Willkürjustiz in Russland. Zugleich betonte der Politiker, dass er erst nach seiner Rückkehr nach Moskau über den Fortgang des Wahlkampfes entscheiden werde.

Er warf dem Kreml vor, ihn eben noch mit dem Verfahren und einer Gefängnisstrafe aus dem Wahlkampf gerissen zu haben. Nun wollten sie ihn plötzlich praktisch zur Teilnahme zwingen. Kommentatoren meinten, Nawalnys Kandidatur diene dazu, dass Amtsinhaber Sergej Sobjanin von einer ehrlichen Abstimmung sprechen könne.

In Moskau und anderen Städten waren am Donnerstagabend Tausende Regierungsgegner auf die Straße gegangen, um gegen die Haft Nawalnys zu demonstrieren. Dabei habe es rund 200 Festnahmen allein in der russischen Hauptstadt gegeben, hieß es. Putins Sprecher Peskow und Bürgermeister Sobjanin kritisierten die spontanen Proteste als "nicht hinnehmbar". Auch in anderen Städten gab es Demonstrationen. In St. Petersburg kamen gut 50 Menschen in Gewahrsam.

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