Beitritt ohne Illusionen Kroatien ist seit heute Nacht 28. Mitglied der Europäischen Union

BRÜSSEL · Es ist noch nicht lange her, da wünschten mehr Kroaten den EU-Beitritt der Türkei als den des eigenen Landes - für die meisten der 4,4 Millionen Bürger ist die Mitgliedschaft in der EU keineswegs die Erfüllung eines Traums. Gerade mal 46 Prozent befürworten den Beitritt. Vielen ist der Schritt, der in der vergangenen Nacht in Zagreb feierlich begangen wurde, nur ein Achselzucken wert.

Kroatien geht es nach vier Jahren Rezession schlecht. Der Neuzugang gehört zu den Staaten, in denen das gespenstische Szenario der "verlorenen Generation" Formen annimmt. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 18,1 Prozent. Bei den Jugendlichen waren im ersten Trimester 2013 knapp 52 Prozent beschäftigungslos gemeldet. Damit rangiert Kroatien in dieser Elendsliga der EU hinter Griechenland und Spanien auf dem dritten Platz. Viele Gutausgebildete verlassen das Land. Schon mehr als 30 000 haben der Heimat auf der Suche nach einem Job den Rücken gekehrt.

Mit dem Eintritt in die EU wird das einfacher. Als Unionsbürger kommen die Kroaten in den Genuss der Reise- und Niederlassungsfreiheit. Zudem wird von heute an das Telefonieren drastisch billiger. RWE bietet Energie zu günstigeren Konditionen an. Da lässt sich verschmerzen, dass die Kroaten ihren süßen Aperitif "Prosec" nicht mehr unter dem traditionellen Namen vermarkten dürfen, weil der italienische "Prosecco" geschützt ist.

Touristisch ist die Eingemeindung längst vollzogen: An der dalmatinischen Adriaküste sind die Preise für britische oder deutsche Besucher längst auf das westeuropäische Niveau angestiegen.

In Zagreb, Split und Dubrovnik hat sich inzwischen herumgesprochen, dass die EU ihrerseits in einer schweren Krise steckt. Mehr als zehn Jahre hat es vom Antrag bis zum Beitritt gedauert, die Illusionen sind längst verflogen. Die kalkulierten Nettozuflüsse aus den EU-Töpfen halten sich in Grenzen: Rund 1.5 Milliarden Euro pro Jahr sind in der Finanzplanung 2014-2020 für Kroatien vorgesehen. Doch dieser Maximalbetrag setzt optimale Abschöpfung voraus. Die tatsächlichen Auszahlungen dürften um einiges niedriger ausfallen. Aus Brüsseler Sicht muss die gedämpfte Begeisterung kein Fehler sein. "Der Mangel an Euphorie heißt: Man sieht die Dinge realistisch", meint Augustin Palokaj, der den Beitrittsprozess als EU-Korrespondent der kroatischen Zeitung "Jutarnji list" begleitet hat. "Das verhindert die Enttäuschung hoher Erwartungen."

Auch auf Seiten der Altmitglieder ist von Überschwang keine Rede. Allen ist schmerzhaft bewusst, welche Probleme man sich mit der Massenaufnahme von zehn Staaten in den Jahren 2004 und 2007 ins Haus holte. Besonders Rumänien und Bulgarien gelten als abschreckendes Beispiel wirtschaftlicher Rückständigkeit, Allgegenwart von Korruption, organisiertem Verbrechen und schwerer Mängel bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Bei Kroatien bestand Brüssel auf Einhaltung aller Bedingungen in Recht und Verwaltungsstrukturen. Wie weit die Anforderungen in der Praxis erfüllt werden, muss sich noch zeigen. Einen Test hat das Land bestanden: Der frühere Ministerpräsident Ivo Sanader sitzt wegen Korruption für zehn Jahre hinter Gittern - Beweis, dass Kroatien die Forderung beherzigt hat, der Kampf gegen das Bestechungswesen dürfe auch vor den höchsten Instanzen nicht haltmachen.

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