Politik Kroatien wird 28. Mitglied der Europäischen Union

ZAGREB · Noch bevor Kroatien am 1. Juli als 28. Mitglied in die EU einzieht, haben die Bürger im April über ihre Abgeordneten im Europaparlament abgestimmt. Nur 21 Prozent der Bürger beteiligten sich.

"Brüssel ist enttäuscht über dieses miserable Echo", titelte die Zagreber Zeitung "Jutarnji list" tags darauf. Bei Kommunalwahlen finden mehr als zweimal so viele Wähler den Weg in die Abstimmungslokale, bei Parlamentswahlen sind es in der Regel mehr als dreimal so viele. Schlimmer noch. Fünf Prozent der Wahlzettel waren ungültig.

Und dann erst das Ergebnis: An zweiter Stelle lag die Oppositionspolitikerin Ruza Tomasic von der extremen Rechten. Die stramme Nationalistin war mit fremdenfeindlichen und EU-kritischen Kommentaren aufgefallen. Für Regierungschef Zoran Milanovic (46) ist sie ein "gesellschaftliches Übel" und "schlimmer als eine Naturkatastrophe". In einem Atemzug prangerte der Spitzenpolitiker noch schnell "die Korruption in der Hauptstadt Zagreb" an: "Das sind alles Dinge, die Kroatien säubern muss, damit Zagreb und Kroatien kein dunkler Fleck, sondern ein europäischer Stern werden".

Doch ist das Land trotzdem reif für die Union? Die EU-Kommission hatte starke Zweifel. Sie stellte Kroatien daher im vergangenen Oktober neue Hausaufgaben. Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (64) formulierte starke Bedenken: "Kroatien ist offensichtlich noch nicht beitrittsreif."

Was dann passierte: Schon im Januar erschien die kroatische Außenministerin Vesna Pusic in Brüssel und meldete, praktisch alle EU-Vorgaben seien im Rekordtempo umgesetzt worden, darunter auch die Justizreform. Ende März gab die EU-Kommission folgerichtig grünes Licht für den Beitritt des Adrialandes. Lammert will sich heute zu diesem Thema trotz wiederholter Nachfrage nicht mehr äußern.

Wie konnte das Land die von Brüssel geforderten tiefgreifenden Veränderungen seines politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systems innerhalb von wenigen Wochen bewerkstelligen? Die Antwort ist ebenso schlicht wie trickreich. Es wurden schnell jede Menge Gesetze verabschiedet, für deren Anwendung aber gar keine Voraussetzungen bestehen. Oder es wurden verbesserte Gesetze nur angekündigt.

Beispiel eins: Im Dezember verabschiedete der Sabor, das kroatische Parlament, eine "Entwicklungsstrategie für die Justiz von 2013 bis 2018". Darin werden die EU-Vorgaben erfüllt. Doch einen notwendigen "Jahresaktionsplan" zur Umsetzung des Gesetzes, ohne den die gesamte Strategie blutleer bleibt, gibt es nicht.

Beispiel zwei: Mit einem "Gesetz über strategische Investitionsvorhaben" sollten die von Brüssel beklagten Investitionshemmnisse beseitigt werden. Die Regierung will Großprojekte ab umgerechnet zehn Millionen Euro an sich ziehen und so die übliche Torpedierung durch die kommunalen Behörden unmöglich machen.

Nur: Dieses Schlüsselgesetz gibt es immer noch nicht. Erst in dieser Woche hat die Regierung einen neuen Entwurf an das Parlament geschickt. "So ist es oft", sagt ein Handelsexperte eines EU-Landes in Zagreb: "Den Ankündigungen folgt nichts und wenn doch, fehlen die Ausführungsbestimmungen, um dem Gesetz Leben einzuhauchen."

Kroatien gehört seit Jahrzehnten zu den besonders korrupten Ländern Europas. Daher war der Kampf gegen dieses Übel eine zentrale Forderung Brüssels vor dem Beitritt. Zwar wurde der langjährige Regierungschef Ivo Sanader (60) in einem spektakulären Korruptionsprozess zu zehn Jahren Haft verurteilt und weitere Verfahren gegen ihn laufen, "doch das hat wenig Auswirkungen auf das alltägliche Leben der Bürger", sagt Zorislav Antun Petrovic vom kroatischen Transparency International.

Das größere Problem sei die sogenannte Schalterkorruption. Der Transparency-Experte hat selbst sechs Jahre auf einen Grundbucheintrag warten müssen, weil er sich geweigert hatte, Schmiergeld zu zahlen. Transparency hatte im vergangenen Herbst eine repräsentative Umfrage in Kroatien organisiert.

Auf einer Skala von eins (keine Korruption) bis fünf (völlig korrupt) schnitten die politischen Parteien mit einem Wert von 3,89 besonders schlecht ab. Eng gefolgt vom Gesundheitswesen, von den Behörden, den Unternehmen, den Gerichten, der Polizei, den Medien und dem Bildungssektor. Zwar gebe es mehr und mehr Gesetze gegen Bestechung und Vorteilsannahme, beschreibt Petrovic die Lage. "Doch vieles bleibt deklarativ, wird nicht umgesetzt."

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