Aufschub des Brexit London bittet EU um mehr Zeit

London · Premierministerin Theresa May will den Austritt Großbritanniens aus der EU um drei Monate verschieben. Bei den Europawahlen soll Großbritannien nicht mehr teilnehmen.

 Premierministerin Theresa May will eine Entscheidung vom Unterhaus erzwingen.

Premierministerin Theresa May will eine Entscheidung vom Unterhaus erzwingen.

Foto: AFP

Wieder beginnt der Brief mit „Dear Donald“, „lieber Donald“, doch anders als vor knapp zwei Jahren hat Premierministerin Theresa May dieses Mal auf die persönliche Note verzichtet. Während sie sich in dem damaligen Schreiben, mit dem die britische Regierungschefin den EU-Austrittsprozess eingeleitet hat, handschriftlich und in schwarzer Tinte an EU-Ratspräsident Donald Tusk wandte, war die Anrede nun Teil des Gedruckten. Es mag nur eine Randnotiz sein, aber sie zeigt, wie frostig das Verhältnis zwischen London und Brüssel mittlerweile zu sein scheint.

Dennoch hatte May keine andere Wahl, als ihre Bitte an Tusk zu richten. Gestern, neun Tage vor Ablauf der Zweijahresfrist am 29. März, bat May offiziell um eine Verlängerung des Brexit-Termins bis Ende Juni. Weil die Premierministerin eine Teilnahme an den Europawahlen ausschließen will, lehnt sie einen längeren Aufschub ab. Stattdessen hält sie weiterhin an ihrem bereits gescheiterten Plan fest. May will eine Mehrheit für den mit der EU ausgehandelten Austrittsdeal erreichen – jenes Abkommen, das bereits zwei Mal im Parlament krachend durchgefallen ist. Und nach der Einmischung von Unterhaussprecher John Bercow in dieser Form auch nicht noch einmal den Abgeordneten vorgelegt werden kann.

Doch alles deutet darauf hin, dass May beabsichtigt, noch in der nächsten Woche abermals eine Entscheidung vom Unterhaus zu erzwingen. Sollte der Vertrag dann gebilligt werden, müsste das Königreich lediglich eine kurze, „technische Verlängerung“ in Anspruch nehmen. Die Zeit würde benötigt, um den Brexit korrekt abzuwickeln und die innerstaatliche Gesetzgebung anzupassen.

Erst am Montag hatte Bercow den Plan der Regierung vereitelt, die Abgeordneten diese Woche ein drittes Mal über den Deal abstimmen zu lassen. Vorerst zumindest. Er verwies auf einen Präzedenzfall von vor mehr als 400 Jahren, wonach ein bereits abgelehntes, unverändertes Gesetzesvorhaben dem Parlament nicht immer wieder vorgelegt werden kann. Die einen jubelten, die anderen wüteten. Vermutlich war es unausweichlich, dass das Königreich in diesen chaotischen Brexit-Wochen, in denen die EU-Gegner gerne von den alten Zeiten schwärmen, irgendwann im Jahr 1604 landen würde. Dass aber ausgerechnet Bercow den Schwenk ins 17. Jahrhundert machen würde, hätten die Europaskeptiker wohl nicht erwartet.

Und nun? Das Chaos auf der Insel, vom dem man seit Wochen annimmt, es könnte größer kaum werden, wird tatsächlich von Tag zu Tag größer. Offiziell treten die Briten am 29. März aus der Staatengemeinschaft aus, sollten die übrigen 27 Mitgliedstaaten die von London gewünschte Verlängerung nicht einstimmig genehmigen. Die Default-Option, ohne Abkommen und ohne Übergangsphase auszuscheiden, bleibt bis dahin bestehen.

Am Donnerstag und Freitag treffen sich die Staats- und Regierungschef zum EU-Gipfel in Brüssel, aber Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat bereits angekündigt, dass er dann noch keine Entscheidung über eine Verschiebung erwartet. Denn auch wenn das neu gewählte Parlament erst am 2. Juli erstmals zusammentritt, steht die EU einem Aufschub bis Ende Juni skeptisch gegenüber. So wolle man entweder eine kurze Verlängerung bis zum Start der Europawahlen am 23. Mai gewähren oder gleich eine lange Verlängerung bis zum Ende des Jahres oder darüber hinaus mit der Option einer Verkürzung, sollte vorher eine Lösung gefunden werden.

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