Mafiabosse und Geistliche "Mafiosi sind exkommuniziert"

ROM · Sie waren in Massen gekommen, um ihn zu hören. Auf zehn Kilometern stauten sich die Autos von Cassano allo Ionio bis in die Ebene von Sibari. Diejenigen, die nicht zu spät kommen wollten, ließen ihre Fahrzeuge am Straßenrand stehen und liefen zu Fuß. Als hätten die Menschen in Kalabrien gewusst, dass der Papst gekommen war, um Worte in den Mund zu nehmen, wie man sie zuvor noch nicht gehört hat.

 Papst Franziskus hielt eine ungewohnte Rede.

Papst Franziskus hielt eine ungewohnte Rede.

Foto: dpa

Zehntausende versammelten sich zum Freiluft-Gottesdienst, den Franziskus am Samstag in der kalabrischen Provinz feierte. Kalabrien, die Spitze des Stiefels, das ist der vergessene Hinterhof Italiens. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei rund 60 Prozent, die illegale Wirtschaft ist hier doppelt so stark wie die legale. Kalabrien ist das Land der 'Ndrangheta. Sie ist die mächtigste Mafia Italiens.

Franziskus las seine Predigt ab, dann legte er sein Manuskript zur Seite und sagte: "Diejenigen, die in ihrem Leben das Böse verfolgen wie die Mafiosi, sie sind nicht in Kommunion mit Gott. Sie sind exkommuniziert." Es waren die bislang deutlichsten Worte der katholischen Kirche gegen das organisierte Verbrechen, das in vielen Gegenden Italiens mächtiger ist als der Staat. Von der Exkommunikation, also dem Ausschluss der Mafiosi von den Sakramenten, hatte vor Franziskus noch kein Papst gesprochen.

Als erster hatte Johannes Paul II. 1993 im sizilianischen Agrigent einen flammenden Appell gegen die Mafia gehalten, als er forderte: "Bekehrt euch! Eines Tages wird das Urteil Gottes ergehen." 2010 fand auch Benedikt XVI. in Palermo starke Worte, als er sagte: "Die Mafia ist der Weg des Todes und mit dem Evangelium nicht zu vereinen." Franziskus erwähnte nun auch die kalabrische Mafia explizit.

Sie operiert in vielen EU-Ländern, darunter auch Deutschland, und gilt mit geschätzt 44 Milliarden Euro Umsatz als mächtigste Verbrecherorganisation weltweit. Der Papst sagte: "Die 'Ndrangheta ist dies: Anbetung des Bösen und Verachtung der Gemeinschaft." Im Gegensatz zu den Worten des Papstes stellt sich die Mafia in Süditalien häufig als effektives Schattensystem dar, das anstelle der Behörden das Gemeinwesen und die Bedürfnisse der Einzelnen regelt. "Dieses Böse muss bekämpft werden", sagte Franziskus. "Man muss 'Nein' dazu sagen."

Vor allem auf lokaler Ebene ist die Trennung zwischen Mafia und Kirche in Italien nicht immer scharf. So sind etwa aus Kalabrien Fälle bekannt, in denen Geistliche mit dem organisierten Verbrechen gemeinsame Sache machten. Zuweilen nimmt die Kirche vor Ort Spenden von Mafiabossen an.

Bei religiösen Prozessionen etwa auf Sizilien haben häufig Mafiafamilien das Sagen. Andererseits gibt es auch einige von der Mafia bedrohte Pfarrer, die sich gegen die Allmacht der Mafiosi wehren. Bei der Seligsprechung von Don Pino Puglisi, einem sizilianischen Pfarrer, der 1993 wegen seines sozialen Engagements von der Cosa Nostra in Palermo ermordet wurde, sagte Franziskus im Mai 2013: "Beten wir dafür, dass sich die Mafiosi bekehren."

Insbesondere bei der 'Ndrangheta, die ihr Geschäft in erster Linie mit Drogenhandel macht, sind religiöse Rituale verbreitet. Im Volksmund wird die Organisation selbst auch als "Santa" (Heilige) bezeichnet. Bei der Weihung neuer Mitglieder wird den Novizen mit einer Nadel in den Finger gestochen, das Blut tropft auf ein Heiligenbildchen. Meist ist das der Erzengel Michael, der "Schutzheilige" der 'Ndrangheta. Schätzungsweise gehören dem engeren Kreis der 'Ndrangheta 6000 Personen an, die zu verschiedenen Familienclans zählen. Laut Polizei gab es 2013 etwa 155 solcher Familien.

Wie sehr die 'Ndrangheta ganze Familien und deren Schicksal bestimmt, zeigt der Fall des dreijährigen Nicola Campolongo, der im Januar in Kalabrien zusammen mit seinem Großvater und dessen Freundin in einem Auto exekutiert und anschließend verbrannt wurde. Franziskus begann seinen Besuch am Samstag in Kalabrien im Gefängnis von Castrovillari, wo unter anderem der Vater und andere Verwandte des dreijährigen Jungen inhaftiert sind.

2011, nach der Verhaftung der Familienmitglieder und Verurteilung zu Gefängnisstrafen von bis zu 20 Jahren, wurde Nicola seinem Großvater anvertraut und anschließend offenbar Opfer einer Auseinandersetzung rivalisierender Clans. "Es darf nie wieder passieren, dass ein Kind solchem Leid ausgesetzt wird", sagte der Papst nach dem Treffen mit den Gefangenen.

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