Auswirkungen des Krieges in der Ukraine Mehr Anträge auf Kriegsdienstverweigerung

BONN · Mit dem Ukraine-Krieg steigt die Zahl der Menschen, die den Dienst an der Waffe verweigern. Doch nur ein Fünftel der Antragsteller sind aktive Soldaten.

Die Zahl der Menschen, die den Kriegsdienst verweigern, ist in Deutschland stark gestiegen.

Die Zahl der Menschen, die den Kriegsdienst verweigern, ist in Deutschland stark gestiegen.

Foto: dpa/Stefan Sauer

Seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine ist die Zahl der Anträge auf Kriegsdienstverweigerung stark gestiegen. Im Jahr 2022 hat sie sich auf 951 fast verfünffacht, wie das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BaFzA) am Freitag bestätigte. 2021 hatte es 201 Anträge gegeben. Nur ein Fünftel der Anträge kommt von aktiven Soldaten.

Wie eine Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums am Freitag auf Anfrage des General-Anzeigers erläuterte, geht die Zählweise des Ministeriums für 2022 bis Ende November von 1082 Anträgen aus. Grund für die Diskrepanz sei der Umstand, dass von der Bundeswehr nur jene Anträge an das Bundesamt weitergereicht würden, bei deren Urhebern die Tauglichkeit zum Wehrdienst unanfechtbar festgestellt worden sei, wodurch sich die geringere Zahl des Bundesamts erklärt. Unter den 1082 Anträgen in der Statistik der Bundeswehr stammen nach Angaben der Sprecherin 593 von ungedienten Personen, die noch nie Uniform getragen haben. 266 Anträge wurden von Reservisten gestellt, 223 von aktiven Soldatinnen und Soldaten. Eine Aufschlüsselung dieser Zahl nach Berufs- und Zeitsoldaten und freiwillig Wehrdienstleistenden sowie den Anteil von Offizieren gab es seitens des Verteidigungsministeriums am Freitag nicht.

300 Anträge im Monat nach der russischen Invasion

Derweil legt eine andere Zahl die These nahe, dass der Krieg in der Ukraine ein Grund für den Anstieg ist. Allein im März und somit im Monat nach der russischen Invasion seien 300 Anträge bei den zuständigen Stellen der Bundeswehr eingegangen. Im letzten Quartal 2022, so die Ministeriumssprecherin, hätten sich die Zahlen ähnlich wie bei den Bewerbungen für die Truppe wieder normalisiert. Hingegen kritisiert etwa die Organisation „Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen“, viele der heutigen Bundeswehr-Angehörigen seien mit Werbeversprechungen in die Armee gelockt worden, die mit der Realität nichts zu tun hätten.

Seitens des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben erklärte ein Sprecher am Freitag gegenüber dem GA, es seien im vergangenen Jahr 208 Anträge anerkannt worden. Die Verfahren können sich über Jahre hinziehen. Die Begründungen für die Anträge auf Kriegsdienstverweigerung werte das Amt hingegen nicht aus. Der Kriegsdienst kann aus Gewissensgründen verweigert werden. Formelle Voraussetzung dafür, dass ein Antrag bearbeitet wird, ist eine plausible Darstellung der Beweggründe. Eine mündliche Befragung, der sich Kriegsdienstverweigerer früher scharenweise stellen mussten, sieht die heutige Verfahrensweise hingegen allenfalls in besonders strittigen Zweifelsfällen vor. Durchaus gängig ist es hingegen, dass Widerspruchsverfahren nach Ablehnung von Anträgen vor einem Verwaltungsgericht landen.

Sorge vor Reaktivierung der Wehrpflicht?

In Ermangelung der Wehrpflicht ergibt eine Kriegsdienstverweigerung auf den ersten Blick nur für aktive Soldaten Sinn, die sich durch Gelöbnis und Soldatengesetz entweder auf Zeit oder für die Dauer ihres Berufslebens zur Erfüllung ihres Dienstes verpflichtet haben und sich andernfalls wegen Fahnenflucht strafbar machen können. Zugleich aber haben offenbar auch vermehrt Reservisten einen Anlass gesehen, ihr feierliches Gelöbnis von einst zu revidieren. Die große Mehrheit der Anträge indes scheint vorbeugend gestellt worden zu sein: Für den Fall, dass jemand auf die Idee kommen sollte, die ausgesetzte Wehrpflicht zu reaktivieren.

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