Reformpläne des Papstes Mehr Einfluss für Bischöfe vor Ort

ROM · Italienische Medien feiern den Text als "Schlüsseldokument". "Der Papst entwirft die Kirche der Zukunft", urteilt die römische Zeitung La Repubblica. "Eine Roadmap des Pontifikats" erkennt La Stampa aus Turin. Nach "Lumen Gentium", der mit Benedikt XVI. gemeinsam verfassten Enzyklika hat Franziskus am Dienstag seine erste eigene programmatische Schrift veröffentlicht.

 Mehr Begeisterung für den Glauben und fröhlichere Priester wünscht sich Papst Franziskus.

Mehr Begeisterung für den Glauben und fröhlichere Priester wünscht sich Papst Franziskus.

Foto: dpa

Die "Apostolische Exhortatio", das päpstliche Mahnschreiben, trägt den Titel "Evangelii Gaudium" (Die Freude des Evangeliums). Erstmals legt Franziskus ausführlich dar, wie er sich die katholische Kirche unter seiner Führung vorstellt.

Wie so oft schlägt Jorge Mario Bergoglio energische Töne an. Nimmt man das bisherige Pontifikat zum Maßstab, taucht gleichwohl auch Bekanntes auf. Es kann nur bedingt eine Überraschung sein, wenn der 77 Jahre alte Papst aus Buenos Aires soziale Rücksichtslosigkeit und Klerikalismus verurteilt sowie Offenheit und Kollegialität fordert. Jedoch äußert sich hier ein Mann der Kirche, dem die von ihm geführte Struktur selbst nicht immer geheuer ist.

Der schönste, programmatischste und am meisten verschachtelte Satz der Exhortatio lautet: "Mir ist eine verbeulte Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist." Das ist die Quintessenz des Programms, das Franziskus in der deutschen Übersetzung auf 180 Seiten ausführt. Bergoglio will eine lebendige, offene Kirche. Kein Gebilde, das sich selbst genug ist. So lautet auch seine Antwort auf die Frage, wie die Kirche heute ihre Botschaft vermitteln kann.

Franziskus stellt zudem die "Neuausrichtung des Papsttums" in Aussicht. Faktisch setzt er dies bereits um, indem er sich von mehreren Kommissionen beraten lässt und eine Reform der Kurie vorantreibt. Der Pontifex, so schreibt Franziskus, solle nicht die lokalen Bischofskonferenzen ersetzen. Er fordert eine "heilsame Dezentralisierung" und will den Bischöfen vor Ort sogar eine "gewisse authentische Lehrautorität" einräumen. "Eine übertriebene Zentralisierung kompliziert das Leben der Kirche und ihre missionarische Dynamik", heißt es im Schreiben.

Die Formulierungen werfen Fragen auf: Welche Folgen hat die wachsende (Lehr-)Autorität der Bischofskonferenzen konkret? Hat Franziskus im Hinblick auf die gerade in Deutschland umstrittene Kommunion für Wiederverheiratete etwa eine andere Meinung als die römischen Glaubenswächter, die etwa die Freiburger Handreichung kassierten? Der Papst schreibt: Die Eucharistie sei nicht "Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen". Priester verhielten sich häufig "wie Kontrolleure der Gnade und nicht wie ihre Förderer". Die Kirche sei jedoch "keine Zollstation, sie ist das Vaterhaus, wo Platz ist für jeden mit seinem mühevollen Leben". Deutlich kennzeichnet der Papst hingegen die für ihn nicht verhandelbaren Punkte: Priestertum für Frauen stehe "nicht zur Diskussion", ebenso die "Verteidigung des ungeborenen Lebens".

Eines der größten Hindernisse für die Kirche in ihrer Mission sei die Kirche selbst, behauptet Franziskus. Er verdammt "übertriebenen Klerikalismus", Karrieristen, "Erfolgsträume", "Eitelkeit", aber auch "pastorale Trägheit". Die Enttäuschungen der Wirklichkeit führten nicht selten zu einer Traurigkeit, einer "Grabespsychologie, die die Christen allmählich in Mumien für das Museum verwandelt". Die Verkünder des Evangeliums dürften "nicht ständig ein Gesicht wie bei einer Beerdigung haben". Franziskus will die Begeisterung und Glaubensfreude, die er selbst oft bei öffentlichen Auftritten zeigt. "Lassen wir uns die Freude an der Evangelisierung nicht nehmen!", schreibt er.

In der Tradition vieler Päpste, aber auch der südamerikanischen "Theologie des Volkes" betont Franziskus den bisherigen Schwerpunkt seines Pontifikats, die Bekämpfung von Armut und sozialer Ungleichheit. "Es ist unglaublich, dass es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der Straße zu leben, erfriert, während eine Baisse um zwei Punkte in der Börse Schlagzeilen macht", schreibt der Papst. Auch die Solidarität zwischen den Völkern lasse zu wünschen übrig. "Ich bete zum Herrn, dass er uns mehr Politiker schenke, denen die Gesellschaft, das Volk, das Leben der Armen wirklich am Herzen liegt!"

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