Bundestagswahl 2103 "Merkel frisst uns alle"

BERLIN · Stimmungen sind nicht Stimmen. Aber so etwas von aussagekräftig. Schon eine Stunde vor der ersten offiziellen Prognose haben sich bei der FDP-Wahlfete die Zahlen herumgesprochen. "Ein Desaster" sagt der eine, "große Scheiße" ein anderer. Einer kommt in Schwarz zum Veranstaltungsort am Berliner Alexanderplatz: "Schwarz ist gut. Schwarz ist heute genau die richtige Farbe."

 Abend der Erkenntnis: FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle und Parteichef Philipp Rösler reden das Ergebnis nicht schön

Abend der Erkenntnis: FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle und Parteichef Philipp Rösler reden das Ergebnis nicht schön

Foto: dpa

Von Fete kann also nicht die Rede sein, eher von Beerdigung. Denn genau so ist die Stimmung: Es gibt keine. Ge- und bedrückt kommen die "Feten"-Gäste an. Kaum einer sagt das, was man in solchen Situationen sonst zu sagen pflegt: "Die Hoffnung stirbt zuletzt" oder Ähnliches.

Und das überall prangende Wahlmotto "Nur mit uns" wirkt nur noch ironisch. Die Katastrophe ist da. "Mit Sicherheit", bringt es der nordrhein-westfälische FDP-Chef Christian Lindner auf den Punkt, "ist das die bitterste Stunde der FDP seit 1949." Das ist die Realität. Denn das vormals schlechteste Ergebnis der Liberalen bei einer Bundestagswahl datiert ausgerechnet aus 1969: 5,8 Prozent. Damals war das dennoch der Startschuss für die sozialliberale Koalition.

Diesmal ist es das Aus. Keine Fraktion mehr, keine Ministerämter mehr. Nicht mal mehr Teilnahmerecht in der Elefantenrunde von ARD und ZDF am Wahlabend. Rainer Brüderle, der Spitzenkandidat ("Zweitstimme ist Merkel-Stimme") und bisherige Fraktionschef, kann sich aufs Altenteil begeben.

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, belastet auch noch mit dem miserablen Wahlergebnis aus Bayern vom Vorsonntag (3,3 Prozent), Außenminister Guido Westerwelle, Entwicklungsminister Dirk Niebel und Wirtschaftsminister Philipp Rösler - alle weg.

Auch Rösler als Parteivorsitzender. Das ist nur eine Frage der Zeit. Die junge Garde, zu der auch Gesundheitsminister Daniel Bahr gehört, hat nicht reüssiert, weshalb jetzt der nächste Mini-Generationswechsel ansteht. Vor der Tür steht dafür eigentlich nur einer: eben Christian Lindner aus Nordrhein-Westfalen.

Den Absturz in dieser Form hat niemand erwartet. "Wir haben uns gedrittelt", sagt einer gestern Abend. Er hat Recht, denn 2009 waren es 14,6 Prozent.

Aber darauf folgte damals gleich die ersten Riesenenttäuschung: Aus diesem besten Ergebnis, das die FDP je erzielte, wurde nichts gemacht. Keine Steuersenkung, gar nichts. Danach folgte auch nicht viel. Cornelia Pieper, die Vorzeigefrau der FDP im Osten, sieht jedenfalls "keine Themen, die gezogen hätten".

Die Steuerfrage ziehe bei den kleinen Einkommen im Osten sowieso nicht, die Abschaffung des Soli schon gar nicht. "Und Freiheit, die haben die Menschen. Die Leute wollen, was sie nicht haben". Und da hatte die FDP nichts zu bieten.

Im Kanzlerduell geriet sie in Vergessenheit, Bayern eine Woche vor der Wahl brachte keinen Schub, eine rettende Zweitstimmenkampagne der Union zugunsten der FDP wie im Januar in Niedersachsen blieb aus.

Und da war dann noch Wolfgang Schäuble, der den Euro wieder zum Thema machte: Damit schoss die AfD hoch und die in der Eurofrage ja gespaltene FDP blutete. Aber über allem stand gestern Abend im liberalen Rund eine andere Erkenntnis: "Merkel frisst uns alle auf."

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