Kommentar Merkel, NSA und Griechenland - Wirklich und virtuell

Auf den ersten Blick haben die Themen, die gestern die "Ich-bin-dann-mal-weg"-Ferienpressekonferenz der Bundeskanzlerin bestimmt haben, nichts miteinander zu tun. Hier das amerikanische Datenspeicher- und Abhörprogramm der NSA, dort Griechenlands Finanzen. Und doch sind beide Themen aufs engste miteinander verknüpft.

Sie sind nämlich Themen der globalisierten Welt. Griechenlands Staatsschuldenkrise ist neben dem eigenen Versagen auch ein Resultat der weltweiten Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise. Und dass die weltweite Abhörpraxis der Amerikaner Teil der globalen Netzwirklichkeit ist, versteht sich von selbst.

Was sich nicht mehr von selbst versteht: Wie lässt sich so etwas regieren? Was nützen nationale Datenschutzprogramme, wenn der Sünder an seinem Rechner irgendwo in einem US-Silicon Valley sitzt? Nichts. Was nützen europäische Datenschutzstandards, die es immer noch nicht gibt und die die Bundeskanzlerin jetzt wieder angemahnt hat, für die Lösung der konkreten Sorgen der Deutschen? Ebenfalls nichts.

Anders gesagt: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat auf das US-Spähprogramm keine Antwort und keine Druckmittel. Weil es keine gibt. Die Opposition macht es sich reichlich einfach, wenn sie Merkel polternd Untätigkeit vorwirft. Soll sie Barack Obama die Daumenschrauben anlegen, die anlaufenden Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen torpedieren, als lägen sie nicht in deutschem Interesse? Nein, so einfach ist die Sache nicht. Sie ist hochkomplex, weil es noch keine internationalen Lösungen gibt.

Datenschutz, Freiheit im Netz, Freiheit des Kapitalmarkts, Klimawandel: Überall zeigt sich, dass nationale Regelungen nicht mehr nur nicht ausreichen, dass sie einfach gar nicht greifen. Also muss man das tun, was die Europäer seit Jahrzehnten und oft belächelt bis kritisiert versuchen: gemeinsame Standards definieren.

Regeln, die alle einhalten, weil sich alle dazu verpflichtet haben. Beim Klimawandel ist das in einem erschreckend geringen Maße gelungen. Bei den Konsequenzen aus der Finanzkrise steckt man noch in den Kinderschuhen. Und bei der internationalen Datenkontrollen ganz am Anfang.

Dass dahinter ungemein mächtige Wirtschaftsinteressen stehen, dass es so aussieht, als regierten Google und Facebook die Welt, ist richtig, aber kurzsichtig. Die Politik muss versuchen, die Kontrolle über die Rahmendaten zurückzugewinnen, gewissermaßen Regierbarkeit wiederherzustellen. Zurzeit ist sie weltweit nur Reparaturkolonne.

Und das gilt eben nicht nur in der virtuellen Welt, sondern viel direkter in ihren Auswirkungen in der realen Welt. Was Merkel gestern als Konsequenzen der griechischen Finanzlage beschrieben hat, wird uns allen einen heißen, teuren Herbst bescheren.

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