Einschüchtern und zermürben Moskau geht weiter hart gegen Oppositionelle vor

Moskau · Die Repressalien der Staatsmacht gegen die Moskauer Straßenopposition gehen weiter. Nun wurden die beiden Antikorruptionsaktivisten Ljubow Sobol und Nikolai Laskin festgenommen.

 Verhaftung bei einer Demonstration Mitte August in Moskau: Die Repressalien wollen nicht enden.

Verhaftung bei einer Demonstration Mitte August in Moskau: Die Repressalien wollen nicht enden.

Foto: picture alliance/dpa

Gegen neun Uhr abends am Montag legte Ilja Asar seine Tochter, 20 Monate alt, schlafen und ging vor die Wohnungstür, um eine Zigarette zu rauchen. Drei Polizisten tauchten auf, wollten ihn mitnehmen. Seinen Einwand, er könne sein Kind nicht allein lassen, ließen sie nicht gelten. „Ich schaffte es noch, meine Frau anzurufen, sie solle schnell nach Hause kommen“, sagte der Moskauer Journalist und Bezirksabgeordnete später. Als seine Frau Jekatarina eine halbe Stunde später eintraf, stand die Wohnungstür offen, drinnen schlief das Kleinkind, unversehrt.

Die Repressalien gegen die Moskauer Opposition wollen nicht enden. In der Nacht auf Dienstag wurden auch die beiden Antikorruptionsaktivisten Ljubow Sobol und Nikolai Laskin festgenommen, wie Asar wegen Aufruf zu einer nicht genehmigten, aber friedlichen Demonstration am vergangenen Samstag. Alle drei kamen wieder, aber ihnen drohen Ordnungsarreste bis zu 30 Tagen.

Haft wegen „Aufruf zum Extremismus“

Damit kämen sie sogar noch glimpflich davon: Am Dienstag wurde der Finanzmanager Wladislaw Siniza zu fünf Jahren Haft verurteilt. Er hatte nach einer Demonstration Ende Juli, bei der die Sicherheitskräfte zahlreiche Demonstranten brutal verprügelt hatten, einen Tweet veröffentlicht: Jemand könne die Adressen der Einsatzpolizisten ausfindig machen und ihre Kinder ermorden. Sein Mitangeklagter Iwan Podkopajew erhielt drei Jahre Gefängnis, weil er Polizisten mit Pfefferspray besprüht hatte. Der 25-jährige Danil Begljez wurde zu zwei Jahren verurteilt, er hatte einen Beamten am Arm festgehalten. Gleichzeitig stellte das russische Ermittlungskomitee fünf der insgesamt 17 Strafverfahren gegen Teilnehmer der nicht genehmigten Proteste ein.

Anderen Demonstranten aber drohen Haftstrafen wegen „lenkender Gesten“ oder digitalem „Aufruf zum Extremismus“. „Die Behauptungen, es gäbe in Moskau gewaltsame Unruhen, sind in sich zusammengefallen“, sagt Dmitri Muratow, Herausgeber der Zeitung Nowaja Gaseta, für die auch der verhaftete Journalist Asar schreibt. „Jetzt versuchen die Sicherheitsorgane, die Teilnehmer unter anderen Vorwänden zu belangen“, so Muratow.

Die Proteste hatten Ende Juni begonnen, nachdem die Moskauer Behörden fast alle liberalen Oppositionskandidaten von den Stadtratswahlen am kommenden Sonntag ausgeschlossen hatten. Dmitri Gudkow, einer der abgewiesenen Kandidaten, schreibt auf Facebook: „Um die Gesellschaft einzuschüchtern, ist der Staat zu nächtlichen Durchsuchungen und Festnahmen von Leuten übergegangenen, die nur eine Schuld haben: Sie betrachten sich als Bürger.“

Gudkow kam erst am Montag nach 36 Tagen Arrest frei. Sein Schicksalsgenosse Ilja Jaschin wurde seit Ende Juli gar vier Mal festgenommen und zu insgesamt 41 Tagen Arrest verurteilt. Auch mehrere andere nicht anerkannte Kandidaten erhielten mehrwöchige Arreststrafen.

Chef des Ermittlungskomitees will Putin beeindrucken

„Es gibt offenbar einen Kampf zwischen den Spitzenleuten der Sicherheitsorgane und Topbeamten, die ihnen gegenüberstehen“, sagt der Menschenrechtler Lew Ponomarjow über die widersprüchlichen Gerichtsbeschlüsse. Hinter den harten Repressalien stehe Alexander Bastrykin, Chef des Ermittlungskomitees, der Präsident Wladimir Putin so seine Loyalität beweisen wolle. Aber einige milde Urteile zeugten von Gegendruck ziviler Kremlbeamter. „Wir sollten jetzt alle den Rücktritt Bastrykins fordern“, sagt Ponomarjow.

Sergei Bojko und Mark Galperin, zwei weitere liberale Aktivisten wurden am Dienstag festgenommen, ebenfalls wegen Aufrufen zu der Demonstration von Samstag. Die Arreste gegen die Anführer der Straßenopposition dienen offenbar dazu, sie wochenlang auszuschalten, außerdem, um sie im Haftalltag mit engen Zellen und stinkenden Matratzen zu zermürben. Zu dem Freiheitsentzug komme zusätzlich die Strafe viehischer Haftbedingungen, sagt der ebenfalls gestrichene Stadtratskandidat Wladimir Milow nach 30 Tagen Arrest. Ljubow Sobol aber wurde am Dienstag zu einem Bußgeld von umgerechnet gut 4000 Euro verurteilt. Sie entging zum wiederholten Mal dem Arrest, weil sie Mutter einer fünfjährigen Tochter ist.

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