Kommentar Nach dem Votum für Joachim Gauck: Farbenspiele

Möglichst schnell im größtmöglichen Konsens den bestmöglichen Kandidaten finden: Nicht mehr und nicht weniger hatten die Spitzen von Union und FDP, SPD und Grünen am Wochenende zu leisten.

Der Nebel des furiosen Sonntags im Kanzleramt hat sich gelichtet: Mit Joachim Gauck haben die Beteiligten des Personalpokers in kürzester Zeit den bestmöglichen Kandidaten gefunden; der größtmögliche Konsens wurde am Montag nach außen dargestellt, nach innen sieht es allerdings anders aus - zumindest in der Regierungskoalition.

Doch zunächst einmal: Joachim Gauck bringt alle Voraussetzungen mit, um das Bundespräsidenten-Amt erfolgreich auszufüllen. Er ist eloquent und lebenserfahren. Wer ihn einmal intensiver erlebt hat, nimmt ihn als charmant und offen wahr, als meinungsstark. Eine Portion Eitelkeit kann ihm ebenso zugeschrieben werden, gepaart mit der Leichtigkeit und Altersmilde eines Menschen, der mit sich im Reinen ist.

Gauck wird überzeugen. Er wird auch anecken, überraschen, zum Teil enttäuschen - unter anderem, weil die hohen Erwartungen kaum erfüllbar sind. Dennoch bleibt Gauck die richtige Wahl. Auch wenn Angela Merkel das vermutlich anders sieht. Alles spricht dafür, dass die Kanzlerin am Ende nur zwei Optionen hatte: Gauck zuzustimmen oder die Regierungskoalition zu beenden.

Und das vor dem Hintergrund der Finanz-, Schulden- und Euro-Krise, vor dem Hintergrund unklarer Koalitionsoptionen bei möglichen Neuwahlen. Letztlich hatte die Bundeskanzlerin keine Wahl, sie stand in der Ecke. Da, wo niemand gern steht, schon gar keine Machtpolitikerin wie sie. "Angela Merkel vergisst nicht", dürfte am Montag in Berlin einer der häufigsten Sätze gewesen sein.

Denn die vielfach gedemütigte FDP hatte den Aufstand gewagt, mit unabsehbaren Folgen. Klar ist: Sollte es bei Schwarz-Gelb noch einen Rest an Vertrauen gegeben haben, so ist auch dieser jetzt verbraucht. Damit wird die FDP für die Union unberechenbar. Rösler und Brüderle könnten Geschmack daran finden, endlich wieder etwas wichtiger zu sein.

Für Rösler war es die letzte Chance der Profilierung, es geht um sein politisches Überleben. Das gilt auch für die FDP. Zumal derzeit nichts dafür spricht, dass diese Koalition nach der nächsten Wahl fortgesetzt wird. Wenn sie den Wahltermin 2013 überhaupt erlebt. Also braucht es Koalitionsoptionen. Seit dem Wochenende ist sehr vieles denkbar. Die Farbenspiele sind in vollem Gange, sogar die Ampel blinkte kurz auf. Und Angela Merkel musste die vermutlich größte Niederlage ihrer Amtszeit hinnehmen.

Doch bedeutsamer bleibt die Erkenntnis, dass die Wahl auf einen künftigen Bundespräsidenten fiel, der nach der quälenden und spaltenden Debatte um Christian Wulff die Qualität für einen Neubeginn mitbringt.

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