Kommentar zur Rechtslage bei Organspenden Nicht sozialpflichtig

Meinung | Bonn · Die Organspende soll künftig mit der sogenannten Widerspruchslösung geregelt werden. Zwei Argumente - ein pragmatisches und ein grundsätzliches - sprechen gegen den Plan, kommentiert Reimund Neuß.

 Symbolfoto

Symbolfoto

Foto: picture alliance/dpa

Zehntausend Patienten stehen auf der Warteliste für eine Organtransplantation. Bestenfalls einem Drittel von ihnen kann in diesem Jahr geholfen werden. Wer will es Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und dem SPD-Fachpolitiker Karl Lauterbach da verdenken, wenn sie die Zahl der Spender erhöhen wollen? Was spricht dagegen, die Organe Verstorbener bereits dann zu entnehmen, wenn kein Widerspruch des Betroffenen oder seiner Angehörigen vorliegt?

Es gibt zwei Argumente gegen diesen Plan, ein pragmatisches und ein grundsätzliches. Das pragmatische: Bis 2017 war die Zahl der Organspenden tendenziell rückläufig, 2018 ist sie deutlich gestiegen. Das zeigt, welche Verbesserungen mit effizienter Organisation und besserer Informationspolitik zu erreichen sind. Es geht darum, Vertrauen zu schaffen und zu erhalten.

Dieses Vertrauen war in der Vergangenheit durch Manipulationen bei der Organvergabe und andere skandalöse Fehler schwer beschädigt worden. Unvergessen (und leider nicht einmalig) der Bremer Fall vom Dezember 2014, als einem Patienten bereits der Bauch zur Organentnahme geöffnet worden war, bevor man – glücklicherweise – feststellte, dass er gar nicht hirntot war. Hier hat sich in den letzten Jahren viel verbessert, das Vertrauen in die Praxis der Organentnahme und -verpflanzung wächst langsam wieder. Eine so massive Intervention, wie Lauterbach und Spahn sie beabsichtigen, wäre da kontraproduktiv.

Und sie wäre – das ist der grundsätzliche Einwand – auch ethisch hochproblematisch. Gesundheitspolitiker erliegen leicht der Versuchung, das höchst Persönliche sozialisieren zu wollen. Bonus-Malus-Regelungen zur medizinischen Volkserziehung gehören ebenso in diese Vorstellungswelt wie der staatliche Zugriff auf die Körper Verstorbener. Das Grundgesetz kennt aber richtigerweise nur die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, nicht die des Körpers. Deshalb hat sich die Pflicht zum Erdulden ärztlicher Maßnahmen auf Ausnahmefälle zu beschränken, etwa in der Seuchenbekämpfung. Der Wunsch des Staates, die Zahl der Spenderorgane zu erhöhen, kann eine solche Regulierung nicht begründen – auch dann nicht, wenn man sich ihr grundsätzlich durch Widerspruch entziehen kann.

Organspende ist das letzte Geschenk, das jemand seinen Mitmenschen machen kann. Geschenke kann man nur erbitten. Wer potenzielle Spender durch eine Widerspruchsregelung unter Druck setzt, pervertiert diesen zutiefst menschlichen Akt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Halber Stopp
Kommentar zum Streit über Rüstungsexporte Halber Stopp