Verfassungsschutz NSU-Untersuchungsausschuss sieht Unterlagen über die "Operation Rennsteig" ein

BERLIN · Sie sind ratlos. Manche auch konsterniert. Sie stellen Fragen. Und sie wollen ihn hören. Am Donnerstag soll Heinz Fromm, bis Ende des Monats noch Präsident des wegen Informationspannen und Aktenvernichtung in der Kritik stehenden Bundesamtes für Verfassungsschutz, in den Zeugenstand.

 Im Abendlicht: Das Gebäude des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln.

Im Abendlicht: Das Gebäude des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln.

Foto: ap

Paul-Löbe-Haus, Saal 4 900, mit Blick auf die Spree. Doch für Ausflugsschiffe, die hier getaktet durch die politische Mitte Berlins schippern, wird Fromm kein Auge haben. Es geht um Aufklärung und, je nach Lesart, auch um Vertuschung, wie einige Abgeordnete im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages argwöhnen.

Eventuell wird vor Fromm noch jener Referatsleiter im Bundesamt das Wort haben, der das Schreddern von Akten mit möglicherweise brisanten Informationen über V-Leute des Verfassungsschutzes in der (Thüringer) Neonazi-Szene just zu dem Zeitpunkt angeordnet hat, als die Zwickauer Terrorzelle aufgeflogen war. Doch mit einer Aussage des leitenden Beamten rechnet im Untersuchungsausschuss des Bundestages, der die Umtriebe der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" aufklären soll, niemand wirklich. Gegen den Mann läuft ein Disziplinarverfahren. Er wird sich kaum selbst belasten.

So sind mit dem Bekanntwerden der Vernichtung von Dossiers über V-Leute im Umfeld des rechtsextremen "Thüringer Heimatschutzes", zu dem Ende der 90er Jahre auch das für eine bislang beispiellose Mordserie verantwortliche Neonazi-Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe gehörten, auch Forderungen nach einem Umbau des Verfassungsschutzes bis hin zu seiner Abschaffung laut geworden. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte in einer ersten öffentlichen Reaktion den Anfang gemacht. Arbeitsweise und Aufgabenstellung des Verfassungsschutzes müssten auf den Prüfstand. Was passiert sei, dürfe nicht passieren, so Friedrich mit Blick auf die vernichteten Geheimdienstakten. Der CSU-Politiker kündigte Konsequenzen an. Und auch Grünen-Parteichef Cem Özdemir fordert, den Verfassungsschutz in Bund und Ländern kritisch zu überprüfen. Der Obmann der Unionsfraktion im Ausschuss, Clemens Binninger, hält es für nötig, die "gesamte Sicherheitsarchitektur" in Deutschland zu überprüfen. Der Vorsitzende der Türkische Gemeinde, Kenan Kolat, sagt, das Vertrauen in den Verfassungsschutz sei inzwischen "nicht mehr bei Null, sondern bei minus Null. Ich glaube überhaupt nichts mehr", so Kolat gestern in Berlin. Ähnlich gehe es auch den Familien der Opfer der Mordserie, verübt durch die Zwickauer Terrorzelle.

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann fordert ein grundsätzliches Umdenken bei den Verfassungsschützern. Diese müssten nicht in erster Linie Geheimdienstler sein, sondern geschulte Demokraten. Der Verfassungsschutz müssen vom Schlapphut-Image wegkommen.

Was war? Was ist? Was wird? Die Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses können am Mittwoch jedenfalls ein Stück mehr Wahrheit über die "Operation Rennsteig" erlangen, mit welcher der Verfassungsschutz zwischen 1997 und 2003 Informationen über den rechtsextremistischen Thüringer Heimatschutzes beschaffen wollte.

25 Akten zur "Operation Rennsteig" liegen nun für die Abgeordneten in der Berliner Außenstelle des Kölner Bundesamtes zur Einsicht bereit. Ungeschwärzt. Bislang muss der Ausschuss mit der geschwärzten Version der Akten arbeiten. Nicht auszudenken, würde sich in den Akten mit den vom Verfassungsschutz geführten V-Leuten die Klarnamen Böhnhardt, Mundlos oder Zschäpe finden. "Das wäre der Super-GAU", so ein Abgeordneter. Brisant: Der Referatsleiter der Abteilung Rechtsextremismus beim Bundesamt für Verfassungsschutz soll am 11. November 2011 das Schreddern der Akten mit Informationen über acht V-Leute angeordnet haben. Nur eine Woche zuvor hatten sich Böhnhardt und Mundlos selbst erschossen und Zschäpe die gemeinsame Wohnung in Zwickau in Brand gesetzt.

Grünen-Obmann Wolfgang Wieland jedenfalls verweist auf mögliche Informanten aus dem Verfassungsschutz an das Neonazi-Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe. Er bezieht sich dabei auf die Aussage eines Zielfahnders in Thüringen, der laut Wieland zu Protokoll gegeben hatte, "immer wenn wir kamen, hatten wir den Eindruck, da war schon jemand vor uns da". Unions-Obmann Binninger will noch etwas anderes wissen: Hat der Referatsleiter im Bundesamt nun das Schreddern der Akten veranlasst, weil schlicht eine Zehn-Jahres-Frist für deren Aufbewahrung abgelaufen war, oder hat der leitende Beamte die Akten bewusst schreddern lassen, um Spuren zu verwischen? Das eine wäre stures Verwaltungshandeln, das andere aber der Stoff für eine Verschwörungstheorie.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Noch nicht aufgewacht
Kommentar zum Treffen zwischen Scholz und Sunak Noch nicht aufgewacht
Zum Thema
Aus dem Ressort