Deutschlands große Arbeitsmarktreform Peter Hartz - ein Name, der in aller Munde ist

Vor zehn Jahren veröffentlichte der damalige VW-Personalvorstand Peter Hartz Vorschläge, die das Sozialsystem revolutionierten. Heute lebt der mittlerweile 70-Jährige zurückgezogen im Saarland.

 Bundeskanzler Gerhard Schröder hält am 16. August 2002 die CD mit den Vorschlägen der Hartz-Kommission zum Abbau der Arbeitslosigkeit in Händen, die ihm zuvor von Peter Hartz überreicht worden war.

Bundeskanzler Gerhard Schröder hält am 16. August 2002 die CD mit den Vorschlägen der Hartz-Kommission zum Abbau der Arbeitslosigkeit in Händen, die ihm zuvor von Peter Hartz überreicht worden war.

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Sein Name ist Programm, aber sein Name ist auch Geschichte. Im doppelten Sinn. Hartz. Peter Hartz. Eingegangen in die Geschichte der Sozialreformen Deutschlands als der größte Umbau seit dem Zweiten Weltkrieg. Eingegangen in die Geschichte als Großtat des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Eingegangen in die Geschichte aber auch als Wort des Jahres ("Hartz IV") 2004 oder als Unwort des Jahres ("Ich-AG") 2002.

Peter Hartz, heute 70 Jahre alt, lebt zurückgezogen im Saarland, gibt so gut wie keine Interviews - und wenn, sind sie von Bitterkeit durchzogen. Das war nicht immer so. Als er am 16. August 2002 im Französischen Dom in Berlin die Vorschläge seiner Kommission "Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" vorstellte, sagte er einen besonders bedeutungsschweren Satz: "Heute ist ein schöner Tag für die Arbeitslosen in Deutschland."

Peter Hartz, der Sohn eines Hüttenarbeiters aus dem saarländischen Niederwürzbach, meinte das genau so. Er glaubte, die Arbeitslosigkeit in Deutschland halbieren zu können, wenn seine Vorschläge eins zu eins umgesetzt würden. 2005 erschien im "Zeitmagazin" ein Traum von ihm. Zitat: "Es träumt mir, ich sei Alleinherrscher, ein wunderbarer, sympathischer, liebevoller Alleinherrscher ... der für das Volk nur das Beste will." Davon hat er geträumt, davon träumt er noch heute.

Peter Hartz hat nicht annähernd das verwirklicht, was er mit seiner Kommission - einer 16er-Runde aus Politikern und Wissenschaftlern Wirtschaftern und Gewerkschaftern - vorgeschlagen hat, aber er hat dennoch mehr bewirkt, als alle Reformer zuvor. Hinter Hartz vermutet der hinlänglich Informierte immer wieder Hartz IV. Dass es aber auch Hartz I, II und III gab, ist schon fast untergegangen im öffentlichen Bewusstsein.

Mehr noch: In knapp sechs Monaten Tätigkeit haben die 16 Experten unter seiner Führung "Module" entwickelt, die von ganz unterschiedlicher Qualität waren. Vor allem aber: Die 16 haben ihren Auftrag gnadenlos ausgeweitet, haben die Chance beim Schopf ergriffen, ein bisschen so wie Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher bei der deutschen Einheit.

Äußerer Anlass war der überfällige Umbau der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit. Aus der Anstalt (mit allen Implikationen, die dieses Wort assoziiert) wurde eine Agentur. Weil die Anstalt mit Vermittlungszahlen operiert hatte, die so sehr geschönt waren, dass der Politik, dass Franz Müntefering, Frank-Walter Steinmeier, Wolfgang Clement und Gerhard Schröder der Kragen platzte.

In nicht einmal einem halben Jahr stellten die 16 Hartzer die Anstalt und das System auf den Kopf. Der Ausstieg aus dem Erwerbsleben wurde nicht mehr prämiert, der Bezug von Arbeitslosengeld zusammengestrichen, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammengelegt. "Der drohende Abstieg in die Grundsicherung hat bewirkt, dass sich Betroffene intensiv um Arbeit bemühen und auch bereit sind, weniger attraktive Tätigkeiten aufzunehmen", sagt Ulrich Walwei vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, der Denkfabrik der Nürnberger Agentur. Bezahlt wird nicht mehr der erreichte Lebensstandard, sondern der Lebensunterhalt. Das System Hartz ist ein hochkomplexes System, das ungezählte Male geändert wurde. Nicht überall, wo Hartz draufsteht, ist auch Hartz drin, sagt der Namensgeber selbst.

Aber die Effekte sind eindeutig: Drastischer Rückgang der Arbeitslosigkeit: vier Millionen waren es 2002, heute sind es 2,9. Drastische Zunahme des Niedriglohnsektors (von 16 auf 22 Prozent), Boom der Kurzarbeit, Boom der Zeitarbeit. Die Linke, die Peter Hartz zu einem Gutteil ihre Existenz verdankt, spricht noch heute von "Armut per Gesetz". Die SPD, die es nach der Hartzreform förmlich zerriss, weshalb sie drei Jahre später 2005, krachend die Wahl verlor, hat bis heute nicht ihren Frieden mit den Gesetzen gemacht und die Arbeitnehmer und potenziellen Arbeitslosen auch nicht.

Wochenlang beherrschten Montagsdemonstrationen gegen Hartz vor zehn Jahren die Straßen. Es gab und gibt eine Klageflut gegen Hartz-Regelungen, aber es gibt auch endlich eine systematische Förderung von Arbeitslosen. Das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit ist trotz aller Bemühungen ungelöst. Manch Kritiker sagt weiter, Hartz stehe nicht für einen Kampf gegen Arbeitslosigkeit, sondern für einen Kampf gegen die Arbeitslosen.

Peter Hartz, der Kämpfer für die Arbeitslosen, ist selbst dabei, in zurückgezogene Vergessenheit zu geraten. Das hat mit den Narben zu tun, die die Attacken auf Hartz´s Initiativen hinterlassen haben, vor allem aber mit dem, was er "Wolfsburger Geschehnisse" nennt, jenes Korruptions- und Betrugssystem im VW-Konzern, dem er damals ja als Personalvorstand diente. Eine Verurteilung wegen Veruntreuung war die Folge.

Das Bundesverdienstkreuz, das er gleich 2002 bekam, hat er deshalb vor fünf Jahren zurückgegeben. Es werden immer mehr, die es ihm heute wieder verleihen würden.

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