NRW-Landtagswahl Piraten wählen überraschend Biophysiker Joachim Paul an die Spitze der Landesliste

MÜNSTER · Fast 90 Minuten diskutierten sie über das Wahlverfahren, genau vier Stunden dauerte es, bis sich alle Kandidaten vorgestellt hatten, und rund zweieinhalb Stunden brauchten sie, um zu wählen und auszuzählen - die nordrhein-westfälischen Piraten nahmen sich am Samstag in der Halle Münsterland viel Zeit, bis sie ihren Spitzenkandidaten für die Landtagswahl am 13. Mai bestimmt hatten. Und am Ende hatten sie für eine dicke Überraschung gesorgt.

 An der Spitze der Landesliste: Lukas Lamla, Joachim Paul, Marc Olejak und Landesvorsitzender Michele Marsching (von links).

An der Spitze der Landesliste: Lukas Lamla, Joachim Paul, Marc Olejak und Landesvorsitzender Michele Marsching (von links).

Foto: dpa

Denn dass Joachim Paul, ein 54-jähriger Biophysiker aus Neuss, an die Spitze der Landesliste gewählt würde, damit war nicht zu rechnen gewesen, galt doch der NRW-Landesvorsitzende Michele Marsching als hoher Favorit. Vielleicht hatte es die rund 400 Mitglieder beeindruckt, was Paul seinen Parteifreunden im Saal gesagt hatte. Zuerst empfahl er, nicht mit einem einzigen Spitzenkandidaten, sondern mit einem Quartett anzutreten, "auch, damit wir uns von den anderen Parteien abgrenzen". Die Mehrheit stimmte dafür - und so begann eine Vorstellrunde mit insgesamt 56 Piraten, die sich um die Plätze eins bis vier bewarben.

Doch als ausgezählt war, stellte die Wahlleitung fest, dass nur Paul die erforderliche 50-Prozent-Marke überschritten hatte. Und so war "Nick Haflinger", wie er sich bei den Piraten im Netz nennt, trotzdem die alleinige Nummer eins. Womöglich auch, weil er bei seiner Vorstellung als einer der wenigen eine landespolitische Aussage formulierte. "NRW ist das Schlusslicht bei den Klassengrößen. Wir brauchen kleinere Klassen, damit die Kinder und Jugendlichen besser lernen können", sagte er und erhielt dafür viel Beifall.

Ansonsten boten die Piraten-Kandidaten ein buntes Bild. Mal inhaltlich versiert, mal skurril, mal ziemlich abgedreht. Als "GrmpyOldMan" stellte sich zum Beispiel ein Pirat vor, der hinzufügte, er würde nun zum ersten Mal seinen Klarnamen bekannt geben: Er heiße Marc Olejak und sei die "digitale und analoge Allzweckwaffe". Der Weseler Andreas Rohde meinte, als Handwerker habe er "keine Angst vor dicken Brettern. Die bohre ich gerne." Oliver Hemmelmann, WDR-Kameramann aus Köln, sagte, er sei beruflich schon oft im Landtag gewesen. "Ich kenne mich dort sehr gut aus." Und Holger Furch aus Ense im Kreis Soest meinte, er habe eine Ausbildung in der Gemeindeverwaltung gemacht und wisse daher, wie Gesetze gemacht werden.

Horst Melzbach, ein 61-jähriger Siegburger, nannte einen anderen Punkt, warum er sich um einen Spitzenplatz bewarb. "Im Landtag streiten sie sich wie die Kesselflicker. Wenn sie sich aber die Taschen vollmachen können, dann sind sie sich einig - diesen Landtag müssen wir entern", so Melzbach. Da war sie wieder, die Diätendiskussion, die die Piraten in der Woche vor dem Parteitag beschäftigt hatte. In einem Gespräch mit einer Nachrichtenagentur hatte Landesparteichef Marsching erklärt, er könne sich vorstellen, die im Sommer bevorstehende Erhöhung der Abgeordnetenbezüge mitzutragen, wenn er in den Landtag gewählt würde. Im Netz folgte ein Aufschrei der Empörung.

Doch Marsching schaffte es dennoch auf Platz vier der Liste. "Da habt ihr mich aber ganz schön abgestraft", meinte er danach. Ebenfalls oben dabei: Auf Platz zwei Lucas Lamla, ein 28-jähriger Feuerwehrmann und Rettungsassistent aus Neuss, der sich als einer der Piraten der ersten Stunde vorgestellt hatte und meinte: "Ich hatte damals schon das Gefühl, hier entsteht etwas Großes." Und Rang drei erreichte tatsächlich Marc Olejak alias GrmpyOldMan. Mit drei Piratinnen unter den ersten 20 ist der Frauenanteil gering. Und regional gesehen gibt es lauter weiße Piraten-Flecken im Land. Denn bis auf zwei Kölner wurden nur Mitglieder vom Niederrhein und aus dem Ruhrgebiet gewählt.

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