Krise in Syrien Putins nächster Coup

Moskau · In Moskau herrscht Unklarheit über den Umfang des russischen Militärabzugs aus dem Bürgerkriegsland. Und erst recht über seinen Zweck.

 Angetreten zum letzten Appell auf syrischem Boden: Russische Truppen vor dem Rückzug auf der Luftwaffenbasis Hemeimem.

Angetreten zum letzten Appell auf syrischem Boden: Russische Truppen vor dem Rückzug auf der Luftwaffenbasis Hemeimem.

Foto: dpa

Gestern Mittag landeten schon die ersten russischen SU-34-Kampfflugzeuge auf ihrem Heimatflughafen Woronesch, feierlich empfangen vom russischen Luftwaffenchef Viktor Bondarjew. Dabei herrschte noch Unklarheit, wie vollständig die russischen Luftstreitkräfte wirklich aus Syrien abgezogen werden. Der Duma-Abgeordnete Viktor Sawarsin sprach von 70 bis 80 Kampfflugzeugen, die das Bürgerkriegsland verlassen sollen.

Der Militärexperte Viktor Litowkin sagte unserer Zeitung, vermutlich würden nur 50 Maschinen nach Russland zurückkehren, etwa 20 aber in Syrien stationiert blieben. „Wie viele Streitkräfte wirklich heimgeschickt werden, das wissen wohl auch die noch nicht, die diese Entscheidung gefällt haben“, erklärt der Syrien-Experte Alexander Schumilin.

Russland zieht sich aus Syrien ähnlich zurück, wie es im September des vergangenen Jahres gekommen war.

Schon damals gab es Wochen vor dem offiziellen Start der Luftoperationen zahlreiche Presseberichte über russische Militärberater und Kampfpiloten, die die damals wankenden Truppen des Staatschefs Baschar al-Assad unterstützten. Jetzt ist davon die Rede, dass von 4000 russischen Militärs 1000 in Syrien bleiben. Kreml-Chef Wladimir Putin erklärte selbst, die russischen Militärbasen in Tartus und bei Latakia würden weiter „funktionieren“ und „zu Land und Wasser wie aus der Luft“ geschützt werden.

„Gehen, um zu bleiben“, titelt die Internetzeitung gazeta.ru zu dem Abzug. Man werde die islamischen Terroristen weiter bombardieren, verkündete der stellvertretende Verteidigungsminister Nikolai Pankow gestern. „Und bei Bedarf können alle Kampfflugzeuge sehr schnell nach Syrien zurückkehren“, sagt Militärexperte Litowkin, „etwa, wenn die Aufständischen ihre Abwesenheit für eine neue Großoffensive gegen Assads Truppen nutzen wollen.“

So unklar wie der Umfang der des Abzug aus Syrien bleibt auch, was Putin damit bezweckt. Verteidigungsminister Sergei Schoigu rapportierte, die russische Streitmacht habe 2000 Terroristen getötet, darunter auch 17 Feldkommandeure russischer Herkunft. Auftrag erfüllt, befand Putin. Allerdings erwähnte er den Islamischen Staat bei der Ankündigung des Rückzugs mit keinem Wort.

Syrienexperte Schumilin verweist darauf, dass der IS über 80 000 bis 100 000 Krieger verfüge und unter den russischen Bombardements viel weniger gelitten habe als die Kämpfer der gemäßigten Opposition gegen Assad. „Russland hat in Syrien von Anfang an ganz andere Strategien verfolgt, als es öffentlich propagierte“, meint Schumilin. Es sei Putin gelungen, sein Hauptziel zu erreichen: Assads Überleben auf dem Schlachtfeld zu sichern und seine Position in Friedensverhandlungen zu stärken.

Jetzt vermuten viele Beobachter in Moskau, der Kreml-Chef wolle mit dem Teilrückzug Assads kriegerischen Eifer abkühlen, damit er die neu in Genf gestarteten Friedensgespräche nicht wieder durch massive Brüche des Waffenstillstands platzen lasse. Der Moment sei günstig, um sich der Welt als friedliebender Vermittler zu präsentieren. Der kremlnahe Publizist Maxim Schewtschenko aber bezeichnet den Abzug, von dem keiner wisse, was wirklich abgezogen werde, als „präventive Maßnahme angesichts einer sich anbahnenden türkischen Invasion“.

Diese Deutung würde nahelegen, dass Putin in der Konfrontation mit dem alten Regionalrivalen Türkei nachgibt – friedliebend, wenig nervenstark, also eher untypisch für Wladimir Putin. „Aber wir wissen bisher noch immer nicht, was Russland in Syrien wirklich erreichen wollte“, sagt der Politologe Arkadi Dubnow. Er vermutet, der Kreml habe mit den USA ausgehandelt, seine Hauptkräfte abzuziehen, dafür aber seine syrischen Basen auch in Zukunft behalten zu dürfen.

„Egal was dahinter steht, unserem Publikum wird die Syrienoperation auf jeden Fall als Erfolg verkauft“, sagt Schumilin. Die russischen Medien feierten den Abzug schon gestern als großen politischen Sieg. So beschwor die Nachrichtenagentur RIA Nowosti das Ende der westlichen Ukraine-Sanktionen gegen Russland.

Eine diplomatische Quelle in Brüssel habe Putins Beschluss als möglichen Prolog einer etappenweise Aufhebung der Sanktionen bezeichnet. Und die Zeitung Moskowski Komsomolze schreibt: „Der Präsident hat der Welt erneut seine Fähigkeit demonstriert, ungewöhnliche und alle erstaunende Entscheidungen zu fällen.“

Von Wladimir Putin sind weiter politische und militärische Überraschungen zu erwarten.

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