GA-Interview mit Wahlkampf-Experte Igor Eidman „Putins Ziel ist der Sturz Merkels“

Moskau · Der russische Soziologe und Wahlkampf-Experte Igor Eidman sieht in Kreml-Chef Wladimir Putin eine Gefahr für ganz Europa. Um die öffentliche Meinung in Deutschland zu beeinflussen, wird viel Geld ausgegeben.

Der Kreml wird sich massiv in den Bundestagswahlkampf einmischen und versuchen, die Lage in Deutschland zu destabilisieren, warnt Igor Eidman, russischer Soziologe, Wahlkampf-Experte und Cousin des 2015 ermordeten Oppositionsführers Boris Nemzow.

Sie behaupten, Deutschland sei jetzt das Haupt-Angriffsziel der russischen Propaganda. Wie kommen Sie zu diesem Schluss?

Wie genau soll das überhaupt funktionieren?

Wie läuft denn diese Beeinflussung der öffentlichen Meinung konkret ab?

Eidman: Es wurde eine ganze Armee von Internet-Trollen auf die Beine gestellt, also Leuten, die im deutschsprachigen Internet Kreml-Positionen verbreiten. Einige bekannte deutsche Journalisten und Publizisten arbeiten mehr oder weniger offen für Moskau. Der Kreml unterstützt Kräfte und Parteien, die gegen das System sind – etwa AfD und Pegida.

Aber es gibt dafür keine Beweise …

Eidman: Putin ist nicht so dumm, all das aktenkundig zu machen, aber es gibt so viele Spuren und Indizien, dass man eindeutige Schlüsse ziehen kann. Die Millionenkredite für die Front National von Marine Le Pen in Frankreich sind nur die Spitze des Eisbergs.

Welche Rolle spielen die russischsprachigen Menschen in Deutschland?

Eidman: Auf die hat der Kreml eine besondere Informationskampagne gerichtet. Sie werden gezielt von elektronischen Medien beeinflusst. Das bekannteste Beispiel sind die Demonstrationen gegen Angela Merkel nach der erfundenen Vergewaltigung der 13-jährigen Lisa in Berlin. Wie genau all diese Mechanismen funktionieren, habe ich in meinem neuen Buch „Das System Putin“ beschrieben.

Was ist das Ziel der Propaganda?

Eidman: Die Situation in Deutschland zu destabilisieren, Extremisten zu helfen, den Feinden der Demokratie ermöglichen, in die Köpfe der Deutschen einzudringen. Wichtigstes Mittel ist dabei im Moment das Schüren von Anti-Emi-granten-Hysterie.

Wie genau soll das funktionieren?

Eidman: Putin und seine Leute werden dazu das bereits in anderen Ländern erprobte Arsenal krimineller Mittel nutzen: Illegale Finanzierung der „eigenen“ Parteien, Hacker-Attacken, das Verbreiten von provozierenden Gerüchten, Falschmeldungen im Internet und so weiter.

Was ist das Ziel Moskaus?

Eidman: Wichtigste taktische Aufgabe ist der Sturz Merkels. Ihre kritische Haltung gegenüber Putin ist richtungsweisend für die Russlandpolitik der EU. Wenn es gelingt, Merkel bei den Bundestagswahlen zu torpedieren, werden die Russland-Sanktionen höchstwahrscheinlich abgeschafft, und die EU-Politik gegenüber Moskau wird sich grundlegend ändern.

Wie kann sich Deutschland angesichts dieser schwierigen Lage wehren?

Eidman: Gegen Lüge hilft nur Wahrheit. Man muss breiten Raum schaffen für unabhängige Informationen, journalistische Recherchen über die Kreml-Provokationen, man muss alle Versuche, die Wahlen zu beeinflussen, öffentlich machen.

Tut Deutschland genug gegen Putins Aktivitäten?

Eidman: Nein. Bis jetzt gibt es keinen bewussten Kurs, um Putins Propaganda entgegenzuwirken. Ich habe den Eindruck, dass viele Vertreter der deutschen Politik und Medien übervorsichtig sind gegenüber Putins Provokateuren, so als ob sie Angst hätten, diese zu beleidigen. Besonders traurig ist die Situation, was die Russischsprachigen in Deutschland angeht. Sie sind die größten Opfer der Kreml-Propaganda. Man lässt sie allein mit den Manipulatoren aus Moskau. Wir brauchen dringend Aufklärungsarbeit für Russischsprachige, etwa durch unabhängige russischsprachige Medien in Deutschland.

Warum unterstützt Putin rechtsradikale Parteien in Europa?

Eidman: Der Putinismus und die Ultrarechten haben den Wunsch gemeinsam, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Weg von der Globalisierung zurück zur nationalen Isolation, von Toleranz zurück zu Xenophobie, Nationalismus statt Multikulti, Klerikales statt Säkulares, vom Sozialstaat zurück zum wilden Kapitalismus. Putin und die Rechten haben ideologische Gründe für ihre Zusammenarbeit. Es ist also kein Betriebsunfall, dass sie fast überall zusammenarbeiten: Von Griechenland bis Deutschland, von Frankreich bis Ungarn. Die größte Gefahr 2017 ist ein Ausbreiten des Putinismus, also dass Ultrarechte oder andere putinnahe Parteien in führenden europäischen Staaten an die Macht kommen.

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