Frankreichs Präsident Hollande entlässt Kabinett Regieren auf einem schwankenden Schiff

PARIS · Beobachter vergleichen Hollande mit einem Kapitän, der Meuterer nicht in den Griff bekommt. Triefnasser Auftritt untermalte den Eindruck.

 Von seinen Pflichten ließ Hollande sich durch das Kabinettschaos nicht abbringen: Auf der Insel Ile de Sein hielt er am Montag eine Rede zum 70. Jahrestag der Befreiung von der Nazi-Herrschaft. Warum niemand ihm einen Regenschirm hielt, darüber darf munter spekuliert werden.

Von seinen Pflichten ließ Hollande sich durch das Kabinettschaos nicht abbringen: Auf der Insel Ile de Sein hielt er am Montag eine Rede zum 70. Jahrestag der Befreiung von der Nazi-Herrschaft. Warum niemand ihm einen Regenschirm hielt, darüber darf munter spekuliert werden.

Foto: dpa

Wer rebelliert, der fliegt: Nach dieser unmissverständlichen Devise hat Frankreichs Premierminister Manuel Valls am Montag den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Als Reaktion auf die provokante Kritik von Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg und Bildungsminister Benoît Hamon an der Sparpolitik und dem unternehmerfreundlichen Kurs der Regierung will er heute sein neues Kabinett vorstellen, dem diese beiden Parteilinken voraussichtlich nicht mehr angehören. "Kohärent und geschlossen" soll es sein.

Valls selbst bleibt offensichtlich an der Regierungsspitze. Der Elysée-Palast legte Wert darauf zu betonen, es habe sich bei der Entscheidung um einen "absoluten Konsens" zwischen ihm und Präsident François Hollande gehandelt. Die Kommentatoren sprachen trotzdem von der Regierung als einem "wankenden Schiff", dessen Kapitän die Meuterer an Bord nicht in den Griff bekomme. Die Umbildung sei Hollandes letzte Chance, seine Präsidentschaft noch zu retten, schreibt die Zeitung "Le Monde". Nur fünf Monate war Valls' Kabinett im Amt, das als Lektion aus der schmerzhaften Niederlage der Sozialisten bei den Kommunalwahlen im März neu gebildet worden war.

Montebourg war dabei noch vom beigeordneten "Minister für produktiven Wiederaufbau" zum Wirtschaftsminister aufgestiegen, um die Parteilinken einzubinden und ihn zugleich zu disziplinieren.

Auf seiner Redefreiheit bestand er aber weiterhin und widersprach mitunter auch der Regierungslinie. "Wir lassen die Korken knallen", scherzte der 51-Jährige bewusst zweideutig am Wochenende an der Seite seines Kollegen Hamon, als er beim traditionellen "Rosenfest" in seinem Wahlkreis den "Spezial-Sanierungs-Jahrgang" eines Burgunder-Weines präsentierte. Nach dem Geschmack von Hollande und Valls schossen seine rhetorischen Korken diesmal allerdings endgültig über das Ziel hinaus.

"Die zwanghafte Defizit-Reduzierung ist ein ökonomischer Wahnwitz, denn sie verstärkt die Arbeitslosigkeit; eine finanzielle Absurdität, denn sie macht die Sanierung des Haushalts unmöglich; und eine schädliche Politik, denn sie treibt die Europäer in die Arme extremistischer Parteien", hatte Montebourg in einem Interview erklärt.

Neben Steuersenkungen und mehr Investitionen in Frankreich forderte er auf europäischer Ebene eine stärkere Rolle der Europäischen Zentralbank, um das Risiko einer Deflation abzuwenden, eine "alternative Führung" von Paris gegenüber Berlin und einen organisierten Widerstand gegen die deutsche Dominanz: "Frankreich ist ein freies Land, das sich nicht an die Obsessionen der deutschen Rechtskonservativen anpassen muss."

Diese Kritik an einer "absurden Sparpolitik", die die Menschen leiden lasse und die Demokratie in Europa in Gefahr bringe, wiederholte er bei einer Pressekonferenz am Montagnachmittag. Er erklärte, seine Verantwortung sei es, alternative Möglichkeiten zu suchen und aufzuzeigen - wenn seine Überzeugungen aber nicht mit der Linie der Regierung übereinstimmten, müsse er diese eben verlassen.

Bildungsminister Hamon, der sein Amt seit Ende März bekleidet, hatte ebenfalls in einem Interview einen Wechsel in der Wirtschaftspolitik, Steuersenkungen und einen langsameren Rhythmus der Haushaltssanierung gefordert, ohne darin einen Widerspruch mit der offiziellen Linie Frankreichs zu sehen: "Wir wollen der Regierung Stärke verleihen, damit die Linke an der Macht Erfolg hat."

Doch Valls forderte bei seinem Antritt als Premierminister ein Ende der disziplinlosen Vielstimmigkeit, nachdem schon sein Vorgänger Jean-Marc Ayrault mit Kritikern in den eigenen Reihen zu kämpfen hatte. Im Laufe des gestrigen Tages empfing er alle bisherigen Kabinettsmitglieder, um sie nach ihrer Position gegenüber der Wirtschaftspolitik zu fragen.

Wer nicht hinter ihr steht, riskiert seinen Posten - neben Montebourg und Hamon gehört auch Justizministerin Christiane Taubira dazu, die ebenfalls zum linken Parteiflügel zählt und ihre beiden Kollegen persönlich bestärkte. Kulturministerin Aurélie Filippetti, die ihre politische Karriere bei den Grünen begann, kündigte von sich aus an, nicht mehr zur Verfügung zu stehen.

Während Rechtspopulistin Marine Le Pen eine Auflösung der Nationalversammlung und die extreme Linke gar Neuwahlen forderte, erklärte der Generalsekretär der bürgerlich-konservativen Partei UMP, Luc Chatel, die Krise enthülle die "Lähmung der Linken an der Macht, die unfähig ist, der wirtschaftlichen Notlage zu begegnen". Auch Ex-Premierminister François Fillon urteilte, der Rücktritt der Regierung illustriere Hollandes Ratlosigkeit und die vergebliche Suche nach dem Anschein von Autorität.

Indem der Präsident zu Jahresbeginn einen "sozialdemokratischen" Kurs angekündigt hatte, um die Wirtschaftskrise zu beenden, brachte er seine Sozialisten an den Rand einer Zerreißprobe. Der linke Flügel steht nicht hinter der Verringerung der Abgabenlast der Unternehmen, um diese wettbewerbsfähiger zu machen und ihnen Stellenschaffungen zu ermöglichen.

Auch wehren sich viele Parteilinke gegen die Einsparung von 50 Milliarden Euro in den kommenden drei Jahren, um die hohe Staatsverschuldung zu verringern und das Defizit im nächsten Jahr gemäß den Brüsseler Vorgaben auf drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu drücken - was voraussichtlich ohnehin nicht erreicht wird.

Bereits im Sommer 2013 musste die damalige Umweltministerin Delphine Batho gehen, weil sie Kürzungen in ihrem Ressort kritisiert hatte; im März verließen die beiden grünen Minister ebenfalls die Regierung, weil sie mit deren Kurs nicht einverstanden waren. Eine Gruppe der "Rebellen" unter den sozialistischen Abgeordneten lehnte es ab, für den Budgetplan zu votieren mit der Begründung, der aktuelle Kurs sei schmerzhaft, ohne Wirkung zu zeigen: Die Arbeitslosigkeit hat fast elf Prozent erreicht, die Deindustrialisierung schreitet voran. Als aktuelle Wirtschaftsdaten vor einigen Tagen verdeutlichten, dass Frankreichs Wirtschaft in diesem Jahr geringer wachse als erhofft, wiederholte Valls, eine Änderung des eingeschlagenen Kurses stehe außer Frage.

Als ob die Regierungskrise in Paris nicht genug wäre, hat Hollande für einen wenig glamourösen Auftritt im Regen Spott und Häme auf Twitter hinnehmen müssen. Der bei einer Rede im strömenden Regen triefnass gewordene Staatschef sehe aus, als habe er an der sogenannten Ice Bucket Challenge teilgenommen, hieß es am Montag in zahlreichen Kommentaren im Kurznachrichtendienst.

Die "Ice Bucket Challenge" soll auf die Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) aufmerksam machen. Wer nominiert wird, muss sich einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf schütten, ein Video davon ins Internet stellen und darf dann drei weitere Kandidaten benennen.

"François Hollandes Ice Bucket, der zehn Minuten lang dauert, ist unglaublich", schrieb ein Nutzer. "Niemand hat ihn nominiert, aber er hat die Herausforderung angenommen", schrieb ein anderer. Hollande habe als Präsident nicht in allem versagt, urteilte ein weiterer Nutzer: "Er hat die Ice Bucket Challenge gewonnen."

Garniert wurden die Kommentare mit Fotos des Staatschefs, der am Montag an der Nordwestküste Frankreichs eine Rede unter freiem Himmel hielt. Dabei regnete es so stark, dass Hollandes Mantel klatschnass war und der Präsident kaum mehr etwas durch seine Brille sehen konnte. Wieso niemand einen Regenschirm über ihn hielt, war nicht bekannt.

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