Generaldebatte im Bundestag Regieren in der Komfortzone

BERLIN · Zwei Stunden dauert jetzt schon die Sitzung des Deutschen Bundestags. Generalaussprache über den ersten eigenständigen Haushalt der großen Koalition. Zwei Stunden, in denen mit lauwarmem Herzen, nun ja, debattiert worden ist.

Was man eben so Debatte nennt, wenn 504 Abgeordnete von Union und SPD mit 127 der Opposition streiten. Jetzt tritt Volker Kauder ans Rednerpult, der Fraktionschef der Union.

Eigentlich ist längst alles gesagt, nur noch nicht von jedem. Niemand erwartet inmitten der flauschweichen Selbstbelobigungen ausgerechnet von Kauder einen - noch so kleinen - rhetorischen Widerhaken. Kauder versteht sich schließlich als Chef des koalitionären Maschinenraums. Der Apparat soll laufen, die Abgeordneten spuren und die Mehrheiten stehen. Obwohl das ja gerade nicht das größte Problem ist.

Dann aber müssen sich die im wohligen Dämmer unangefochtenen Regierungsalltags versunkenen Parlamentarier der Regierungsparteien doch zur Aufmerksamkeit zwingen. Kauder hat da nämlich bei seinem Partner, SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, beunruhigende Zwischentöne ausgemacht.

Der hatte tatsächlich in Sachen "kalter Progression" neue Beweglichkeit der SPD angedeutet. Wenn die Steuerprogression sich so auswirke, "dass Lohnerhöhungen für Facharbeiter nach Abzug der Steuer gerade zum Erhalt der Kaufkraft reichen, dann ist das weder fair noch gerecht." Also müsse man über den Abbau dieses Effektes reden. Aber nur "bei vollständiger Gegenfinanzierung". Das war die Bemerkung, bei der Kauder Unrat witterte - genauer: Steuererhöhungen. Und diese Tür knallte er dann mit größtmöglichem Geräusch zu.

"Auf keinen Fall" werde es eine Gegenfinanzierung durch Steuern geben. Das sage er "mit aller Bestimmtheit". Es gebe "in dieser Legislaturperiode keine Steuererhöhung, weder bei der Einkommen-, der Vermögen- oder Erbschaftssteuer." Wer diese Pläne hege, könne sie "gleich begraben".

Dankbar muss derjenige solche Fundstücke kontrovers-engagierter Wortbeiträge als Trophäe präsentieren, der gestern nach spannungsgeladener Debatte suchen wollte. Die Kanzlerin wollte das bestimmt nicht. Sie klapperte routiniert die Kernpunkte des aktuellen Regierungshandelns ab, vergaß weder die sechs Milliarden Mehrinvestitionen in Bildung und Forschung, noch das Rentenpaket oder den Mindestlohn.

War da ein Anliegen zu erkennen, ein Herzensthema? Zu hoch gegriffen. Aber dem Eindruck, dass die Milliarden für Mütterrente und Rente mit 63 zukunftsvergessene Wohlfühlpolitik sein könnten, wollte sie doch entgegentreten. Dass der Haushalt 2015 ganz ohne neue Schulden auskommen soll, sei "das bewusste Bekenntnis, sich um die Sorgen künftiger Generationen zu kümmern".

Fast kein Wort über den Aufstand in der Unionsfraktion gegen die Rente mit 63. Welcher Aufstand? Sie freue sich, dass sich doch alle einig seien, "dass wir alle Anreize zur Frühverrentung ausräumen müssen". Das war`s. Und nun kann der Auslegungsstreit beginnen, ob das Wort "ausräumen" die Aufforderung beinhalte, den Gesetzesentwurf der Arbeitsministerin noch umzugestalten.

Der Rest ist Loben. Wie toll der Wirtschaftsminister Gabriel in Brüssel für die energie-intensiven Betriebe in Deutschland gestritten habe. Das nötigt auch Volker Kauder später "ein Kompliment" ab. Wie sich die Regierung dem "sozialen Zusammenhalt" verschreibe, und wie großartig die Leistung des Finanzministers sei.

"Regieren in der Komfortzone" nannte das später die grüne Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, die eine gute, sehr spitze Rede lieferte. Wirtschaftsminister Gabriel ernannte sie zum "Genossen der Bosse" - aus demselben Grund, der zuvor das Merkelsche Lob verursacht hatte: den Steuerrabatten für die Schwerindustrie. Die Regierung mache sehr wohl Schulden, rechnete die Grüne vor, die stünden bloß nicht im Etat. Sie verschulde sich "an den Jungen, an den Armen, an der Umwelt".

So pointiert konnte die Linke Katja Kipping nicht argumentieren und beließ es beim üblichen Hinweis, die Regierung ignoriere "den wachsenden Reichtum in den Händen weniger". Linken Co-Fraktionschef Gregor Gysi weilte derweil an anderem Ort - bei einer Buchvorstellung Rainer Brüderles, des gescheiterten FDP-Spitzenkandidaten bei der vergangenen Bundestagswahl, dessen Auftritt in der Bundeshauptstadt gestern daran erinnerte, dass es schon streitreichere Epochen im Hohen Hause gegeben hat.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Noch nicht aufgewacht
Kommentar zum Treffen zwischen Scholz und Sunak Noch nicht aufgewacht
Aus dem Ressort