Online-Durchsuchungen in Deutschland Reporter ohne Grenzen sieht Pressefreiheit in Gefahr

Berlin · Wenn der Verfassungsschutz demnächst Online-Durchsuchungen machen darf, sollen Journalisten und ihre Informanten geschützt sein. Doch Zweifel bleiben.

 So wichtig, dass sie im Grundgesetz weit vorn aufgeführt ist, nämlich schon in Artikel 5 – die Pressefreiheit. Ein Ausschnitt auf einer Glasscheibe am Außenhof des Jakob-Kaiser-Hauses in Berlin.

So wichtig, dass sie im Grundgesetz weit vorn aufgeführt ist, nämlich schon in Artikel 5 – die Pressefreiheit. Ein Ausschnitt auf einer Glasscheibe am Außenhof des Jakob-Kaiser-Hauses in Berlin.

Foto: picture alliance/dpa

Kaum sorgt sich die Öffentlichkeit nach einer Wahlanalyse von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer um mögliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit in Wahlkämpfen, werden auch schon Befürchtungen einer eingeschränkten Pressefreiheit laut. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ sieht „eine der Säulen der Pressefreiheit in Deutschland, das Redaktionsgeheimnis, fallen“. Von einem „unsäglichen Vorgang“ spricht auch der Deutsche Journalistenverband und fordert Innenminister Horst Seehofer (CSU) dringend auf, seinen Plan zum heimlichen Ausspähen von Redaktionen und ihren Quellen durch den Verfassungsschutz fallen zu lassen.

Worum geht es?

Schon im März hat Seehofer eine Gesetzesnovelle zu erweiterten Befugnissen des Verfassungsschutzes vorgelegt. Er will sich dabei einerseits an den bereits gegebenen Möglichkeiten des Bundeskriminalamtes orientiert haben. Andererseits habe er die Zugänge der Verfassungsschützer in der analogen Welt auf die digitalen Bereiche übertragen. Wiederholt hatten die Nachrichtendienste beklagt, wichtige Verabredungen von mutmaßlichen Extremisten und Terroristen nicht mehr mitzukriegen, wenn diese auf die verschlüsselte Kommunikation bei Whats-app und ähnlichen Plattformen zurückgreifen. Dazu möchten sie künftig Trojaner aufspielen und auf diese Weise Online-Durchsuchungen vornehmen können.

Wie ist die bisherige Regelung?

Bislang waren Berufsgeheimnisträger mit besonderem Schutz vor Durchsuchungen ausgestattet. Damit sollte Strafverfolgern der Zugriff auf die besonders auf Vertrauen aufgebauten Beziehungen zwischen Arzt und Patient, Anwalt und Mandant sowie Journalist und Informant erschwert werden. Nur wenn die Angehörigen dieser Berufsgruppen selbst Straftäter zu sein scheinen, soll ein Richter Ausnahmen zulassen. Und genau an dieser Stelle unterscheidet der Gesetzentwurf des Innenministeriums zwischen dem weiterhin vollen Schutz für Anwälte und dem gelockerten Schutz für Journalisten.

Was sagt das Innenministerium zu den Vorwürfen?

„Haltlos“ nennt das Bundesinnenministerium die Behauptung, die Novelle gefährde das journalistische Redaktionsgeheimnis. „Wir werden Journalisten und das Redaktionsgeheimnis weiter besonders schützen“, versichert das Ministerium.

Gibt es Bedenken in der Koali-tion?

Allerdings hatte auch das SPD-geführte Justizministerium so schwerwiegende Bedenken gegen Seehofers Entwurf, dass es zunächst generell ablehnte, sich damit näher zu befassen. Die Vorschläge gingen weit über die im Koalitionsvertrag verabredeten Vorhaben hinaus. Darin ist insbesondere vorgesehen, dass zusätzliche Kontrollen eingebaut werden, wenn der Verfassungsschutz zusätzliche Kompetenzen erhält.

Was steht in Seehofers Entwurf?

Hier geht es nach Expertenansicht aber nicht um zusätzliche Kompetenzen für den Verfassungsschutz, sondern um niedrigere Schranken. Nicht mehr ein Richter müsste danach in jedem Einzelfall Online-Durchsuchungen bei Journalisten genehmigen, sondern eine Kontrolle durch das sogenannte G-10-Gremium des Bundestages würde ausreichen. Die G-10-Kommission entscheidet als unabhängiges und an keine Weisungen gebundenes Organ über die Notwendigkeit und Zulässigkeit sämtlicher durch die Nachrichtendienste des Bundes (Bundesnachrichtendienst, Bundesamt für Verfassungsschutz, Militärischer Abschirmdienst) durchgeführten Beschränkungsmaßnahmen beim Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis nach Artikel 10 des Grundgesetzes.

Welche Kompetenz soll der Verfassungsschutz erhalten?

Er soll per Gesetz nur angehalten werden, „das öffentliche Interesse an den von dieser Person wahrgenommenen Aufgaben und das Interesse an der Geheimhaltung der dieser Person anvertrauten oder bekannt gewordenen Tatsachen besonders zu berücksichtigen.“ Eine solche Abwägungsermächtigung wird im folgenden Satz für Anwälte ausdrücklich nicht eingeräumt, da bleibt es beim hohen Schutzstandard.

Was sagt das Bundesverfassungsgericht?

Im Hintergrund steht die eindeutige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes. Dieses hatte etwa 2015 nach Durchsuchungen von Redaktionsräumen und Privaträumen eines Journalisten den Beschwerden der Betroffenen stattgegeben und dabei zur Vertrauenssphäre zwischen Medien und ihren Informanten unmissverständlich klargestellt: „Dieser Schutz ist unentbehrlich, weil die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informationsquelle aber nur dann fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich auf die Wahrung des Redaktionsgeheimnisses verlassen kann.“ Deshalb sei eine solche Durchsuchung nicht nur eine Störung der redaktionellen Arbeit, sondern enthalte auch die Möglichkeit einer einschüchternden Wirkung und stelle damit „eine Beeinträchtigung der Pressefreiheit“ dar.

Was wird jetzt geschehen?

Vor diesem Hintergrund wird damit gerechnet, dass Seehofer entweder seinen Entwurf selbst nachbessert oder Schutz und Kontrolle in der Abstimmung zwischen den Ministerien wieder ausgeweitet werden.

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